Der Gründer des Schweizer Analyse-Unternehmens MediaTenor Roland Schatz versorgt neuerdings auf eigene Initiative die Aufsichtsgremien von ARD, ZDF und Deutschlandfunk mit Daten zur Nachrichtenqualität. Seine Zahlen sind für die Sender nicht schmeichelhaft. Immerhin erhält er eine Menge Reaktionen – auch, aber nicht nur von den Adressaten.
Tichys Einblick: Herr Schatz, seit einiger Zeit schicken Sie als Inhaber eines Schweizer Medienanalyse-Unternehmens wöchentlich Unterlagen an die Aufsichtsgremien von ARD, ZDF und Deutschlandfunk – und zwar ohne, dass die Gremien Sie darum bitten. Was wollen Sie damit erreichen?
Roland Schatz: Der Ausgangspunkt dafür war mein Vortrag bei der CDU-Arbeitsgemeinschaft zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Sender Anfang 2023. Er löste ein enormes Echo aus, denn mit unserem Zahlenmaterial konnte ich sehr konkret die politische und inhaltliche Einseitigkeit dieser Sender belegen. Die wenigsten Gremienmitglieder scheinen Zugang zu wissenschaftlichen Analysen zum eigentlichen Inhalt der Sender zu haben, die sie eigentlich beaufsichtigen sollen. Ein Video zu unseren Daten wurde bisher fast 400.000 heruntergeladen.
Gab es auch negative Reaktionen?
Für unsere Analysen wurden sowohl MediaTenor als auch ich selbst im Deutschlandfunk mit falschen Unterstellungen angegriffen. Zum Glück hatten die Verantwortlichen des Senders dann selbst erkannt, dass das ein Fehler war.
Was heißt ‚Medienanalysen‘ konkret?
Das heißt: Welche Themen, Personen, Institutionen sind sichtbar – oder eben nicht –, wenn die Deutschen sich mit Hilfe der Nachrichten- und Magazinsendungen über die Lage der Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft informieren wollen? Angesichts der enormen öffentlichen Aufmerksamkeit für dieses Thema hat die Interessengemeinschaft „Informations-Qualität in Deutschland“ sich entschlossen, anhand der sowieso existenten Daten jeweils zu einem aktuellen Thema wie Deutsche Einheit, Gesundheit oder nun zum Tag der Gewerkschaft die Verantwortlichen in den Gremien bei ARD, DLF und ZDF anhand von Langfristanalysen zu informieren, wie die Öffentlich-Rechtlichen darüber jeweils berichten. Mit diesen Informationen, denke ich, können sie besser vorbereitet in ihre Sitzungen gehen.
Wer steht hinter der Interessengemeinschaft „Informations-Qualität in Deutschland“?
Wir hatten vor drei Jahren zu einem Parlamentarischen Abend in Berlin eingeladen, um über das gleichnamige Buch zu informieren: Journalisten, Wissenschaftler und Politiker unterschiedlicher Parteien hatten sich gleich zu Beginn von Covid darüber Sorge gemacht, dass nicht alle zugänglichen Informationen sichtbar wurden. Der damalige Anchor beim ZDF Heute-Journal, Claus Kleber, hatte die Debatte ausgelöst mit der Selbsterkenntnis: „Wir haben praktisch die Rolle eines Pressesprechers oder Ministers eingenommen, der seiner Bevölkerung erklärt, warum die Maßnahmen jetzt sein müssen. Das ist einfach nicht unser Job.“ Wir wollten schon damals von den Verantwortlichen beim ZDF Einblick in die Protokolle der Fernsehrats- beziehungsweise Verwaltungsratssitzungen, um herauszufinden, was dort zu dieser Einschätzung gesagt wurde. Und vor allem: was von der Redaktionsleitung des Heute-Journals und der Aufsichtsgremien unternommen wurde, um sicherzustellen, dass diese immerhin von einem der prominentesten Nachrichtenpräsentatoren selbst erkannte Fehlleistung nicht fortgesetzt wird. Wir haben keine Antwort erhalten – bis heute nicht.
Vielleicht haben die Verantwortlichen trotzdem die Kritik angenommen?
Daten zeigen keine Verbesserung der Informationsqualität.
Bevor wir zu Ihren Daten kommen: Seit den Massakern der Hamas in Israel am 7. Oktober, dem Raketenbeschuss und der Reaktion Israels darauf sind die Öffentlich-Rechtlichen durch eine besondere Einseitigkeit aufgefallen. Das ZDF beispielsweise behauptete, die Hamas habe zu weltweiten „Protesten“ aufgerufen. Tatsächlich trommelte die Terrororganisation für gewalttätige Aktionen – und zwar mit Konsequenzen, wie die Ermordung eines Lehrers in Frankreich durch einen Islamisten zeigte. Die Tagesschau wiederum übernahm zunächst einmal die Falschinformation der Hamas, dass Israel ein christliches Krankenhaus in Gaza Stadt bombardiert und 500 Zivilisten getötet hätte. In Wirklichkeit schlug auf dem Parkplatz vor dem Krankenhaus wohl eine fehlgeleitete Hamas-Rakete ein – und die Zahl von 500 Toten war frei erfunden. Die „New York Times“, die auch auf die Falschinformation hereingefallen war, korrigierte sich immerhin an prominenter Stelle. Wie schätzen Sie die Fehlerkultur der Öffentlich-Rechtlichen ein?
In den letzten 30 Jahren habe ich von einer Fehler“kultur“ bei den drei öffentlich-rechtlichen Sendern wenig mitbekommen. Das wäre aber überall so, wenn Menschen einfach machen können, was sie wollen, ohne dafür wenigstens einmal pro Jahr transparent über das (Nicht-)Geleistete Auskunft anhand sauberer Daten geben zu müssen. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf.
Welche Erklärung haben Sie für die generelle Schieflage von ARD, ZDF und Deutschlandfunk beim Thema Nahost?
In meiner Eigenschaft als Mitgründer des „Unlearning Intolerance Masterclasses“ bei der UN in New York ist mir das Thema sehr vertraut. Wir hatten schon vor fast 20 Jahren mit unserer Analyse zur Berichterstattung des Libanon-Krieges auf Al Arabia, Al Jazeera, BBC, ARD und ZDF konkrete Vorschläge gemacht, wie in Zukunft bei diesem Thema vorzugehen ist. Ich sehe davon wenig realisiert. Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum die Kollegen die pauschale Antwort Ägyptens, es wolle keine Flüchtlinge aus dem Gazastreifen aus Angst vor Terroristen ins Land lassen, einfach nur wiedergeben, anstatt die naheliegende Frage zu stellen: ‚Wenn ihr die Grenzen nicht öffnen wollt – warum fliegt ihr das Essen, Trinken und die Medikamente nicht mit Hubschraubern rüber?‘ Ein anderes Beispiel: Derzeit tagt die Global Fatwa Authority in Kairo – welcher Journalist berichtet darüber? Insbesondere wir Deutschen wissen doch, dass Terrorismus nur „funktioniert“, solange er ein schweigendes Umfeld als Akzeptanz glaubt interpretieren zu können.
Die Öffentlich-Rechtlichen müssten doch all diese verschiedenen Perspektiven dank ihres teuren Korrespondentennetzes abdecken können. Immerhin begründen sie auch damit die Höhe der Rundfunkgebühr.
Können Sie sich noch an das ZDF beim Sturm des Kapitols erinnern? Da empfahl uns Claus Kleber, CNN anzuschalten. Nicht anders war es im Übrigen beim Krieg auf dem Balkan. Ich wundere mich immer über die Schalte nach Wien, wo die Kollegen vom Naschmarkt aus dann die Ereignisse in Polen, Tschechien, Ungarn oder Rumänien „einzuordnen“ helfen. Wie dumm wird eigentlich das Publikum des 21. Jahrhunderts gehalten, die alle mit ihren Handys den direkten Zugang zum Internet neben der TV-Fernbedienung liegen haben?
Zurück zu den Daten, die Sie den Aufsichtsgremien liefern: Zu welchen Themen führen Sie Untersuchungen durch? Und mit welchen Ergebnissen?
Ein Themenkomplex beschäftigte sich zum Tag der Einheit, also dem 3. Oktober, mit dem Blick auf die neuen Länder. Meine Kollegen bringen die Ergebnisse wie folgt auf den Punkt: bei ARD, DLF und ZDF wird im Zweifel vor dem Osten gewarnt. Die Analyse zur Darstellung von Gesundheitspolitik durch die Öffentlich-Rechtlichen vor allem in der Corona-Zeit fasste Claus Kleber so zusammen: „Wir haben praktisch die Rolle eines Pressesprechers oder Ministers eingenommen, der seiner Bevölkerung erklärt, warum diese Maßnahmen jetzt sein müssen. Das ist einfach nicht unser Job.“ Miit unseren Zahlen ausgedrückt: Bei der Tagesschau hatte der Virologe Christian Drosten für seine Position eine Sichtbarkeit von 93 Prozent, sein Kollege Hendrik Streeck, der bei Corona eine deutlich weniger alarmistische Position vertreten hatte, nur 7 Prozent. Über ARD, DLF und ZDF ließ Angela Merkel verbreiten, ihre Politik befände sich im Einklang mit den Nachbarstaaten. Das war sie nicht. Wie hätte es sonst sein können, dass meine Kinder nahezu die ganze Zeit in der Schweiz zur Schule gingen, während Deutschland die längsten Schulschließungen von allen europäischen Ländern hatte?
Und in der aktuellen von uns gelieferten Vorlage zur Darstellung des Arbeitsmarktes und seiner Akteure erhält die IG Metall im Vergleich zum Arbeitgeberverband Gesamtmetall nicht ganz die Werte von Drosten-Streeck, aber sie sind nicht so weit davon entfernt. Zum Themenkomplex Wirtschaft allgemein: Unternehmensgründungen erhalten bei ARD und DLF in den Nachrichten einen Anteil von 0,01 Prozent, Streiks dagegen sind für die Morgennachrichten im DLF bei 24 Prozent aller Beiträge zum Thema Wirtschaft wichtig. Qualifizierung von Mitarbeitern dagegen kommt auf keine 3 Prozent. Wenn alle drei Sender daran etwas ändern wollen, müssten auch kompetente Vertreter der Wirtschaft in den Rundfunkräten sitzen. Die Realität sieht jedoch so aus, dass die Vertreter der freien Berufe, der Handelskammern und anderen Institutionen sich einen Platz teilen müssen, während die Gewerkschaften mit eher 10 als nur 5 Vertretern den Sendern mit Rat und Tat zur Seite stehen dürfen.
Welche Resonanz haben Sie bisher auf Ihre Daten erhalten?
Wir sind inzwischen nicht nur mit den Kollegen in den Redaktionen sowie den Rundfunkräten im Gespräch, sondern auch mit Vertretern der Verwaltungsräte bei ARD, DLF und ZDF. Deshalb haben wir uns auch entschlossen, die wöchentlichen Berichte „ARD-DLF-ZDF Gremien Tischvorlage“ zu nennen. Dazu kommen die Reaktionen aus Landtagen und dem Bundestag, wo den Mitgliedern des Parlaments bis dahin oft gar nicht bewusst war, wie detailliert Medieninhalts-Analyse durchgeführt werden kann. Für die BBC in England, SABC in Südafrika und die Kollegen des tschechischen Fernsehens leisten wir diese Arbeit seit der Gründung von MediaTenor vor 30 Jahren. Vor mehr als 10 Jahren konnten wir Ulrik Haagerup bei seinem Start von „Constructive Journalism“ maßgeblich zur Seite stehen, und tun dies bis heute.
Zur breiten Reaktion auf unsere Analysen haben auch der reichweitenstarke Videokanal des Frankfurter Wirtschaftswissenschaftlers Christian Rieck und der des Journalisten Peter Welchering beigetragen. Da erreichen uns viele Reaktionen aus allen Regionen Deutschlands, beispielsweise von Mitgliedern der sogenannten „Antennengemeinschaften“, die sich noch vor dem Fall der Mauer in Sachsen und Thüringen dort gründeten, wo ARD, DLF und ZDF ohne aufwendige Hilfsmittel nicht empfangen werden konnten. Mit hohem Risiko halfen sie sich damals selbst. Nach dem Fall der Mauer fühlen sie sich ausgerechnet von den Sendern im Stich gelassen, für die sie persönlich viel riskierten.
Ist das Misstrauen gegen die Öffentlich-Rechtlichen nach Ihrer Wahrnehmung im Osten des Landes stärker als im Westen?
Angeblich sollen allein 300.000 Sachsen sich nun verweigern, die Rundfunkgebühr zu zahlen. Meine Versuche, die exakte Anzahl zu recherchieren, scheiterte bislang. Innerhalb von einem Monat haben mehr als 400.000 den Youtube-Beitrag der Anwaltskanzlei WBS angeschaut. Darin schildert der Kölner Anwalt Christian Solmecke den Fall eines Studenten, der sich erfolgreich vor Gericht gegen den MDR durchsetzen konnte, und nun auch keine Rundfunkgebühr mehr zahlt.
Müssten die Aufsichtsgremien der Öffentlich-Rechtlichen nicht stärker mit Leuten besetzt werden, die sich mit Medienanalysen beschäftigen, aber auch Finanzpläne lesen können – und gleichzeitig genügend Unabhängigkeit mitbringen? Die ARD wurde ja gerade durch die RBB-Finanzskandale erschüttert, die dort lange keiner verstand – oder verstehen wollte. Ist es in dieser Hinsicht gut oder schlecht, wenn mit Marlehn Thieme eine frühere Managerin der Deutschen Bank an der Spitze des ZDF-Fernsehrats sitzt?
Ich bin sehr froh, dass Frau Thieme nun auch am Lerchenberg ihre Expertise einbringen kann: Wir kennen uns aus der Zeit, als Alfred Herrhausen (Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank bis zu seiner Ermordung 1990) der Bank mehr gesellschaftsverantwortliches Profil geben wollte. Das Projekt, das uns damals verband, hatte viel mit Karl Popper zu tun: Er schätzte unsere Arbeit sehr und war gleichzeitig von Herrhausen beeindruckt. Würden die Popper‘schen Grundlagen der schöpferischen Selbst-Kritik im ZDF mehr Achtung finden, wäre das inhaltliche Angebot des Senders nicht so oft zu Recht in der Kritik. Abgesehen davon schadet Finanzkompetenz nie: Bei all den ausschreibungspflichtigen Verträgen wie denen von Markus Lanz, Jan Böhmermann und anderen ist es gut, wenn die Rechnungshöfe bei deren regelmäßigen Prüfungen Sachkompetenz auch im Fernsehrat antreffen.
Manche halten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für unreformierbar. Woher kommt Ihre Hoffnung, dass er sich grundlegend ändern könnte?
Der Auftrag an ARD, ZDF und Deutschlandfunk ist genau das, was Deutschland jetzt braucht: Nachrichten, Magazine, Dokumentationen, Talkshows, die wirklich Vielfalt, Integration, Konvergenz und Vorbilder zeigen. Das ist ja nicht „Rocket-Science“, also etwas, was erst noch entwickelt werden müsste, sondern klassischer Journalismus in Reinkultur. Wer mit den Kollegen von ARD, DLF und ZDF spricht, bekommt nicht den Eindruck vermittelt, als wollten sie nicht. Es müssen halt endlich die notwendigen Reformen vollzogen und dann präzises und transparentes Berichtswesen eingeführt werden, damit die Erfahrungen, die Claus Kleber selbstkritisch schildert, wirklich der Vergangenheit angehören.
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