Wer will Zensur?

von Anti-Spiegel
1. August 2023 


Andrej Schitow ist in meinen Augen einer der besten USA-Kenner, die es in Russland gibt. Er war vier Jahrzehnte als Korrespondent in den USA und ist dort entsprechend gut vernetzt und kennt den Washingtoner Apparat von innen. Daher habe ich schon viele seiner Analysen übersetzt, die er für die russische Nachrichtenagentur TASS schreibt.

„Die Netze sind ausgelegt: Wer wie versucht, in den USA die totale Zensur einzuführen“ 

Was im Westen früher als Meinungsäußerungen von der Presse- und Meinungsfreiheit nicht nur gedeckt, sondern sogar geschützt war, soll plötzlich verboten werden.

Erschreckend ist, dass sich dafür in manchen Ländern des Westens sogar schon Mehrheiten abzeichnen. Darüber, wie diese Debatte in den USA geführt wird und vor allem, wie ausnahmslos alle Medien das Thema meiden, als seien sie alle Teil des sogenannten „zensur-industriellen Komplexes“, hat Schitow nun einen Artikel geschrieben, den ich übersetzt habe.

Beginn der Übersetzung:

Die Furcht vor der Freiheit 2.0: Wie die Idee der Zensur die Massen in den USA erobert

Andrei Schitow über das Projekt 1735 und warum die Amerikaner weder Politikern noch Journalisten trauen

Die Amerikaner sind offenbar dabei, sich von ihrer vergötterten Freiheit loszusagen. In einer neuen Umfrage des Pew Research Centre stimmte mehr als die Hälfte der Teilnehmer – 55 Prozent – der Ansicht zu, dass die Regierung „Maßnahmen ergreifen sollte, um die Verbreitung von Falschinformationen im Internet einzuschränken, selbst wenn dies die Informationsfreiheit einschränken würde“. Der gegenteilige Standpunkt, wonach eben diese Freiheit „geschützt“ werden sollte, auch um den Preis der Veröffentlichung manchmal unwahrer Angaben, erhielt 42 Prozent der Stimmen. Vor fünf Jahren war das Verhältnis bei der gleichen Umfrage umgekehrt: 39 Prozent zu 58 Prozent. Die Unterstützung für die Zensur durch „Tech-Unternehmen“, also die Eigentümer sozialer Medien, ist sogar noch stärker: Die Amerikaner befürworten sie jetzt mit einer Mehrheit von 65 Prozent zu 32 Prozent, während es 2018 noch 56 Prozent zu 42 Prozent waren. Ich merke an, dass Pew Research ursprünglich „Pew Research Centre for the People and the Press“ hieß.

Was mich fast noch mehr als die Umfrageergebnisse selbst überraschte, war, dass sie auf der anderen Seite des Ozeans niemanden zu beunruhigen schienen. Um genau zu sein, nicht ganz: Alex Berenson, ein ehemaliger Journalist der New York Times und heutiger Schriftsteller, der meine Aufmerksamkeit erregte, widmete dem einen Kommentar mit dem Titel „Die erschreckendste Umfrage des Sommers: und es geht nicht um Joe Biden!“ In dem Artikel, der für einige Diskussionen sorgte, wurde insbesondere betont, dass „die Unterstützung der Unterdrückung ‚falscher‘ („false“) Aussagen durch die Regierung eindeutig gegen den Ersten Verfassungszusatz verstößt, der weder zwischen ‚falscher‘ und legaler Rede noch zwischen Online- und traditionellen Plattformen für Rede und Debatte unterscheidet“.

Aber all das wurde auf dem Portal Substack geschrieben, also im modernen amerikanischen „Samisdat“, das beispielsweise von einem so berühmten regimekritischen Journalisten wie Seymour Hersh verwendet wird, der die Beteiligung von Präsident Biden an der Sabotage der Nord Streams aufgedeckt hat. Aber in der traditionellen Presse habe ich keine Reaktionen gefunden, obwohl ich danach gesucht habe, sowohl in ideologisch voreingenommenen als auch in formell neutralen Quellen: von der Washington Post und NPR bis zum Wall Street Journal und Fox News, von Associated Press und Reuters bis zu CNN. Ehrlich gesagt, kann ich mir nicht vorstellen, wie sie dieses Thema hätten umgehen können, es sei denn, es handelte sich um den „Zensurkomplex“ hinter den Kulissen, den Jacob Siegel vom Tablet-Magazin kürzlich beschrieben hat.

Die „Vertrauenskrise“

Einige andere sind ratlos, was in Amerika mit der Presse und der Einstellung zu ihr los ist. Carl Cannon, Chefredakteur und Leiter des Washingtoner Büros des politikwissenschaftlichen Portals Real Clear Politics, ein Journalist aus einer Journalistenfamilie, hat ein neues Sonderprojekt angekündigt, das dem auf den Grund gehen soll. In seinem einleitenden Essay erklärt er seine Pläne: „Die Medien befinden sich in schwierigen Zeiten. Ihr traditionelles Geschäftsmodell ist so gut wie zusammengebrochen, die journalistischen Standards befinden sich im freien Fall. Und die Amerikaner bemerken das. Die Wähler in den USA bringen der Presse ein historisch hohes Maß an Misstrauen gegenüber zum Ausdruck. Gleichzeitig schwindet auch das Vertrauen in das politische System unseres Landes. Das Vertrauen in die Regierung war noch nie so gering wie heute. Diese beiden Trends, die miteinander verbunden sind und sich gegenseitig verstärken, haben sich seit Jahren zusammengebraut. Zusammen verkörpern sie eine Vertrauenskrise in die beiden für die Selbstverwaltung notwendigen Institutionen“.

Der Autor führt auch Umfragen an, um seine These zu untermauern. Eine andere aktuelle Studie von Pew Research ergab, dass nur noch zwei von zehn Amerikanern der Meinung sind, dass die Regierung „das Richtige tut“ (do what is right), wobei nur lächerliche zwei Prozent glauben, dass sie das „fast immer“ tut, und 19 Prozent glauben, dass sie das „überwiegend“ tut.

Cannon analysiert die Einstellung gegenüber der Presse genauer und stützt sich dabei auf die Gallup-Umfrage vom Herbst letzten Jahres. Zunächst fällt ihm ein Indikator auf: 38 Prozent der Amerikaner gaben an, dass sie „überhaupt kein Vertrauen“ (none at all) in die Berichterstattung der Medien haben. Nach Angaben der Organisatoren der Umfrage übertraf diese ablehnende Haltung zum ersten Mal die Gesamtzahl der Vertrauensbekundungen (sieben Prozent hohes und 27 Prozent gemäßigtes Vertrauen). Und es gab auch 28 Prozent mäßige Skepsis, also zwei Drittel der Amerikaner vertrauen der Presse nicht.

„Einseitige Erosion“

Das auffälligste Ergebnis dieser Umfrage ist für Cannon jedoch die parteipolitische Kluft. „Hier ist das Einzigartige und Beunruhigende an diesem Rückgang des Vertrauens in die US-Medien“, schreibt er. „In einem Land, das fast gleichmäßig in Bürger, die die Demokraten wählen, und solche, die die Republikaner unterstützen, aufgeteilt ist, ist das Misstrauen nicht gleichmäßig verteilt, nicht einmal annähernd. Die Erosion findet nur auf einer Seite des politischen Spektrums statt“.

„Etwa 70 Prozent der Demokraten vertrauen den Medien heute noch, und diese Zahl hat sich seit der Präsidentschaft von Nixon (1969-1974 – Anm. d. Red.) nicht wesentlich verändert“, erklärt der Analyst. „Bei den Unabhängigen ist das Vertrauen auf 27 Prozent gesunken, und bei den Republikanern ist es zusammengebrochen. Nur 14 Prozent der Republikaner hätten „sehr viel“ oder „mäßiges“ Vertrauen in die Medien, heißt es. Laut Gallup ist die Kluft beim Vertrauen [in die Medien] zwischen Demokraten und Republikanern seit 2001 konstant zweistellig und schwankt seit 2017 zwischen 54 Prozent und 63 Prozent.“

Nun will Cannon, wie wir sagen, herausfinden, wer schuld ist und was zu tun ist (er selbst formuliert die gleichen Fragen auf amerikanische Art und Weise und beruft sich dabei auf die Säulen des US-Journalismus, unter anderen auf E.J. Dionne mit seinem Bestseller „Why Americans Hate Politics“). Meiner Meinung nach liegen die Antworten, wenn auch in erster Annäherung, an der Oberfläche. Und da er und ich einst viele Jahre lang Mitglieder der White House Correspondents‘ Association waren und uns sehr gut kannten, würde ich ihn fragen: Ist das dein Ernst, Carl?

Fakten zum Glauben

Erstens bestätigen alle Meinungsforschungsinstitute, einschließlich Gallup, dass die Menschen die Dinge unterschiedlich sehen, je nachdem, ob die Partei, die sie unterstützen, an der Macht ist oder in der Opposition. Die Republikaner hingegen haben mit eigenen Augen gesehen, wie der rechtmäßig gewählte Präsident ihrer Partei, Donald Trump, in der Presse offen gemobbt wurde – und wie, so könnte man fragen, sollen sie sich danach fühlen?

Außerdem war Trump im Grunde für jeden in der amerikanischen Hauptstadt ein Fremder, auch für die nominellen Parteifreunde, die er als „Republikaner nur dem Namen nach“ bezeichnet. Und abgesehen von seiner kurzen Regierungszeit gehört die Macht in Washington seit 2008 „den Kräften eines überparteilichen politischen Establishments unter dem Kommando von General Barack Obama“ (Definition von Jacob Siegel von Tablet). Offensichtlich gefällt den Demokraten dieser Zustand und die Berichterstattung der liberalen Medien darüber recht gut, den Republikanern jedoch ganz und gar nicht.

Außerdem denke, sage und schreibe ich seit langem, dass man insgesamt mehr nach dem Glauben als nach dem Wissen lebt und dazu neigt, seine Fakten nach dem Glauben auszuwählen und nicht andersherum. Das heißt, wir alle haben unsere eigene Wahrheit, die durch harte Fakten gestützt wird. Und der Unterschied zwischen Liberalen und Konservativen liegt vor allem darin, dass letztere zumindest wissen, dass sie nur glauben, während erstere (vor allem die „Führenden“) im Gegenteil glauben, als ob sie wüssten. Und natürlich kann man ihnen diese Überzeugung nicht ausreden, vor allem nicht, wenn dieselben traditionellen Medien ihre Meinung bestätigen.

Übrigens erklärt dieselbe liberale „Sturheit“ meiner Meinung nach die äußere Paradoxie der Zahlen. Auf der einen Seite vertrauen laut Gallup sieben von zehn amerikanischen Demokraten den Medien. Andererseits befürworten laut Pew Research genau so viele von ihnen die Zensur in sozialen Netzwerken. Wessen Informationen, fragen Sie sich, wollen sie also einschränken? Doch nicht ihre eigenen?!

Wessen Drehbuch?

Meine Fragen und Einwände bedeuten jedoch nicht, dass ich meinen Kollegen der Unaufrichtigkeit verdächtige. Im Gegenteil, ich glaube gerne, dass ihm, wie mir, die Abweichung vom Kanon der journalistischen Objektivität nicht gefällt (er erwähnt sie, und ich habe darüber geschrieben). Und ich schätze seinen Wunsch nach Objektivität: Obwohl er der Meinung ist, dass der Republikaner Trump „verdientermaßen“ den „Löwenanteil“ der Schuld am Parteiengezänk rund um die Präsidentschaftswahlen 2020 trägt (was „einen Schatten“ auf die kommenden Wahlen 2024 wirft), betont er auch, dass sich die Führer der Demokratischen Partei der USA nicht besser verhalten haben und verhalten. Wie William Shakespeare sagen würde: „Eine Plage für eure beiden Häuser!“

Gerade in diesem Zusammenhang erinnert Cannon daran, wie Hillary Clinton, Trumps ehemalige Konkurrentin bei der Wahl 2016, zunächst zu Recht entsetzt darüber war, dass ihr Gegner abscheulicherweise nicht bereit war, irgendwelche Wahlergebnisse zu akzeptieren, aber dann „selbst das Drehbuch schrieb, nach dem Trump jetzt handelt“. „Trotz ihrer offiziellen Rede, in der sie ihre Niederlage eingestand, verbrachte Clinton die gesamten nächsten vier Jahre damit, lautstark zu behaupten, dass Trump nicht wirklich [legal] gewählt wurde“, erklärt Cannon. „Und sie war nicht die Einzige: Schon vor Trumps Amtseinführung wurde über ein Amtsenthebungsverfahren gesprochen und Liberale veranstalteten einen Protestmarsch gegen ihn, wobei ein prominenter Redner laut darüber fantasierte, das Weiße Haus niederzubrennen.“

Übrigens ist das Amtsenthebungsverfahren im politischen System der USA von einem Ausweg, der in den ersten beiden Jahrhunderten der Republik nur zweimal genutzt wurde, zu einem fast alltäglichen Mittel geworden. „Dieses Verfahren wurde 1998 gegen Präsident Clinton angewandt, zweimal gegen Präsident Trump – und könnte noch gegen Präsident Biden angewandt werden“, erinnert der Politikwissenschaftler.

Problems oder Issues?

Seiner Meinung nach ist es insgesamt nicht verwunderlich, dass die Amerikaner kein Vertrauen und keine Sympathie für die Politik und die Politiker in ihrem Land haben. Zusätzlich zu den üblichen Argumenten führt er einen Grund an, an den ich zum Beispiel noch nie gedacht habe.

Unter Bezugnahme auf Dionnes Buch über die Ursprünge der Abneigung gegen die Politik weist Cannon darauf hin, dass dort eine wichtige begriffliche Unterscheidung zwischen „Problemen“ (problems) und „umstrittenen Fragen“ (issues) getroffen wird. Der Unterschied bestehe darin, dass bei ersteren die Notwendigkeit bestehe, zusammenzukommen und Kompromisse auszuarbeiten, um nach den Wahlen gemeinsame, dringende Herausforderungen anzugehen. Letztere zielen in der Tat auf dauerhafte Uneinigkeit ab.

In den letzten Jahrzehnten, so der Experte, haben beide großen US-Parteien „gelernt, ihre Wahlkämpfe als Kämpfe um ‚issues‘ und nicht um ‚problems‘ zu gestalten“. „Der Ehemann von Hillary Clinton war wahrscheinlich der letzte Präsidentschaftskandidat, der auf der Grundlage konkreter, starker Ideen zur Lösung von Problemen gewonnen hat“, so Cannon. „Aber auch Bill Clinton warf „Splat“-Themen („wedge“ issues) auf, sammelte nach seinem Sieg weiter Spenden und gilt allgemein als Vorbote der Ära des „permanenten Wahlkampfes“. Die Ergebnisse all dieser endlosen Politik sind bekannt und unattraktiv“.

Nun, das ist alles wahr; allerdings wurde das Konzept des permanenten Wahlkampfes, wenn ich mich recht erinnere, von Clintons politischem Partner Al Gore vorgeschlagen. Und auch die Republikaner trugen zur Uneinigkeit bei. Als ungeheuerliches Beispiel wird in dem Artikel der ehemalige Sprecher des Unterhauses des Kongresses Dennis Hastert genannt, der später wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde. Als er Sprecher war, erfand er eine „Regel“, wonach keine Frage zur Abstimmung gebracht werden durfte, ohne dass eine „Mehrheit [in der Fraktion]“ dafür war. In Wirklichkeit, so der Kommentator, war dies eine Regel gegen parteiübergreifende Kompromisse und Koalitionen.

Alle verlieren

Die Folgen von Uneinigkeit sind verheerend. Das sagt der gesunde Menschenverstand und Experten bestätigen es. „Trotz der politischen Polarisierung haben beide Seiten das Gefühl, zu verlieren“, so Daniel Drezner, Professor für Internationales an der Tufts University, gegenüber dem Politikwissenschaftsportal 538. „Und wenn Nationen und Länder pessimistisch in die Zukunft blicken, tun sie oft wirklich schlechte Dinge“.

Die Politik bestätigt und bestärkt also die Lehre der Kirche, dass es nicht nur sündhaft, sondern auch gefährlich ist, mutlos zu sein. Und mit dem Glauben an die Zukunft sieht es jenseits des Ozeans gerade jetzt nicht wirklich gut aus. Zu dem Gesagten können wir zum Beispiel eine neue Gallup-Umfrage hinzufügen, der zufolge das patriotische Gefühl unter der amerikanischen Jugend auf „rekordtiefe“ Werte gefallen ist. Nur 18 Prozent der Befragten im Alter von 18 bis 34 Jahren sind „extrem stolz“ auf ihr Land.

Bemerkenswert ist auch, dass die Republikaner nach dieser Umfrage viel patriotischer sind als die Demokraten. Der durchschnittliche Patriotismus ist bei allen mehr oder weniger gleich, aber bei demselben Indikator des „extremen Stolzes“, den sowohl die Organisatoren als auch die Kommentatoren hervorheben, ist der Unterschied zwischen den Parteien zweistellig: 60 Prozent zu 29 Prozent zugunsten der Republikaner. Heißt das nun, dass die liberale „Regierungspartei“ in den USA im Gegensatz zur konservativen Opposition nicht wirklich an ihr Land glaubt?

„Aktuelle Lektionen“

Kehren wir jedoch zu Cannons neuer Initiative zurück, die seiner Ansicht nach „die Idee der Pressefreiheit“ jenseits des Ozeans wiederbeleben soll. Er hat dafür einen symbolischen Namen gewählt: Projekt 1735. Ich denke, das ist eine Art Antwort auf das ultraliberale „Projekt 1619“, das 2019 von der Redaktion der New York Times ins Leben gerufen wurde, die vorschlug (und sogar forderte), das Datum der Ankunft der ersten schwarzen Sklaven in der Neuen Welt als Ausgangspunkt der amerikanischen Geschichte zu betrachten. Mit der Zeit wurde diese Forderung zur ideologischen Grundlage für den neuen Kult der rassischen politischen Korrektheit (woke culture) und der „cancel culture“ in den heutigen USA.

Für Cannon ist der historische Angelpunkt jedoch ein gerichtlicher Präzedenzfall in einem Fall aus dem kolonialen New York. Im Jahr 1733 begann John Peter Zenger, ein Drucker in New York, mit der Veröffentlichung des New York Weekly Journal, das den britischen Vizekönig, Gouverneur William Cosby, kritisierte. Im Jahr 1734 wurde der Verleger verhaftet und wegen Verleumdung vor Gericht gestellt. Unter anderem untersagten die Behörden den Anwälten, ihn zu verteidigen. Doch aus Philadelphia wurde der berühmte Anwalt Andrew Hamilton eingeladen, der es wagte, vor Gericht zu argumentieren, dass die Wahrheit keine Verleumdung ist.

Das war für die damalige Zeit eine kühne Neuerung. Die Geschworenen stimmten zu und sprachen ihn 1735 frei. Es dauerte 41 Jahre bis zur Verabschiedung der Unabhängigkeitserklärung der USA und 56 Jahre bis zur Verabschiedung der verfassungsmäßigen amerikanischen Bill of Rights. Zenger starb 1746 friedlich und das Familienunternehmen wurde von seiner Witwe weitergeführt.

Der Fall, wie man ihn nennt, ging in die Annalen ein. Heute schreibt ein moderner amerikanischer Journalist, der sich daran erinnert, dass „der sensationelle Prozess die Idee der Pressefreiheit auf unserem Kontinent und in der ganzen Welt einführte“. Und fügt hinzu: „Heute sind seine Lektionen wieder aktuell.“

Der „zensur-industrielle Komplex“ stößt auf Gegenreaktion

Nun, dem kann man kaum widersprechen. Und das vor allem – wieder einmal – aufgrund der Tatsache, dass die Amerikaner laut den Daten von Pew Research, mit denen wir begonnen haben, jetzt mit überwältigender Mehrheit für Zensur zu sein scheinen. Zensur, Carl!

Mich persönlich erinnert das unter anderem an Erich Fromms klassisches Werk „Die Furcht vor der Freiheit“. Der große Soziologe und Psychoanalytiker sprach darin von „den einflussreichsten Schichten der Gesellschaft“, die „den Geist der ganzen Kultur bestimmen“ – insbesondere durch „die Kontrolle des Bildungswesens, der Schulen, der Kirche, der Presse, des Theaters“. Leider ging er nicht näher auf die Rolle der Medien ein. Aber ich frage mich, wie er die Auswirkungen unserer zahllosen Gadgets, sozialen Netzwerke und sogar der künstlichen Intelligenz, wegen der Hollywood-Schauspieler und -Drehbuchautoren bereits streiken, auf das persönliche und öffentliche Bewusstsein bewerten würde. Und natürlich die derzeitigen „Eliten“, die versuchen, den digitalen Informationsraum zu regulieren und generell die Presse und die Kultur in den USA zu beherrschen.

Aber auch die Eliten sind nicht homogen. Vor einer Woche habe ich geschrieben, dass vernünftige Amerikaner ihre Rechte und Freiheiten nicht kampflos aufgeben werden. Und hier sind die neuesten Nachrichten: Im Unterhaus des Kongresses wurde ein republikanischer Gesetzentwurf eingebracht, der es den Bürgern ermöglichen würde, gegen bestimmte Bundesbeamte, die an zensurbedingten Einschränkungen der freien Meinungsäußerung in sozialen Medien beteiligt sind, gerichtlich vorzugehen.

„Die Amerikaner werden endlich die Möglichkeit haben, Bundesbedienstete, die ihre Rechte nach dem ersten Verfassungszusatz verletzen, vor Gericht zu bringen“, sagte der Kongressabgeordnete Dan Bishop, der die Initiative verfasst hat, gegenüber Fox News Digital. „Der zensur-industrielle Komplex darf nicht länger ungestraft agieren können. Diejenigen, die die Meinungsfreiheit verletzen, müssen sich vor Gericht verantworten.“

Von außen betrachtet erscheint das übertrieben. Der erste Verfassungszusatz allein, ohne zusätzliches Gesetz, scheint darauf ausgelegt zu sein, Grundrechte und -freiheiten zu schützen, und zwar auf höchster Verfassungsebene. Ich bin mir nicht sicher, ob Bishops Initiative, der Censorship Accountability Act, im Capitol Hill ein leichtes Schicksal haben wird. Aber ich würde mich freuen, wenn ich falsch liege, und wie wir sagen: „Die Härte des Anfange sein Fluch ist“.

Ende der Übersetzung

Text: Antispiegel

Bild: Radio Qfm

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