Thüringen Landtag – Brandmauer gegen die Bürger und Schauspiel der Altparteien…

Die politische Auseinandersetzung in Thüringen zeigt sich in einer beunruhigenden Zuspitzung:

Traditionelle parlamentarische Bräuche werden aufgegeben, und das Recht scheint zunehmend dazu instrumentalisiert zu werden, dem politischen Gegner zu schaden.

Die jüngsten Ereignisse im Thüringer Landtag illustrieren diesen schleichenden Wandel.

Zwei zentrale Ereignisse stehen im Fokus:

  • die Fortsetzung der gescheiterten konstituierenden Sitzung des Landtags
  • sowie die zunehmende Macht der AfD und die Reaktionen der etablierten Parteien darauf.

Vater und Sohn

Am Donnerstag entschied man dann, den bestehenden Konflikt durch einen Antrag der CDU-Fraktion an den Verfassungsgerichtshof zu klären. Ob die Richter dem vom Verfassungsblog ausgerufenen Kampf gegen eine „autoritär-populistische Blockade“ folgten, bleibt offen. Zwar werden die Mitglieder des Verfassungsgerichts von den politischen Parteien im Landtag bestimmt – bislang ohne Berücksichtigung der AfD – doch richterliche Unabhängigkeit ist letztlich eine Frage des persönlichen Selbstverständnisses. Sehen sich die Richter als Verteidiger einer politischen Linie oder als Hüter der demokratischen Verfassungsordnung? Letzteres wäre durchaus möglich. Ein spannender Gedanke: Vielleicht diskutiert Richter Jörg Geibert diese Fragen am Sonntag beim Mittagessen mit seinem Sohn Lennart, der gerade als CDU-Abgeordneter in den Landtag eingezogen ist.

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass der umstrittene CDU-Vorsitzende Mario Voigt bereits einen Tag vor der konstituierenden Sitzung seinem Anwalt die nötige Prozessvollmacht erteilt hatte – ein vorausschauender Schritt, der niemanden beunruhigen sollte. 

Warum jedoch Andreas Brühl diese Vollmacht erst einen Tag später ausstellte, könnte mit den chaotischen Umständen der Landtagssitzung zusammenhängen. Oder Brühl war bereits zuvor anderweitig verhindert – das bleibt Historikern zur Klärung überlassen.

Auf jeden Fall lieferte der Weimarer Verfassungsgerichtshof eine bemerkenswerte Leistung ab, indem er den Antrag und den darauffolgenden Beschluss innerhalb weniger Stunden bearbeitete und auf 36 Seiten ausformulierte. Erfahrene Juristen dürften diese Geschwindigkeit ebenso beeindruckend finden wie der Verfasser dieser Zeilen. 

Ob Richter Geibert nach diesem hektischen Tag noch Zeit für ein Gespräch mit seinem Sohn fand, bleibt ungewiss – doch wohl jeder Vater hätte Verständnis dafür.

Die Fortsetzung der konstituierenden Landtagssitzung

Nachdem das Landesverfassungsgericht eingeschaltet wurde, um den im Chaos endenden ersten Sitzungstag des Thüringer Landtags zu klären, wurde entschieden, dass der Antrag von CDU und BSW zur Änderung der Wahlregeln für den Landtagspräsidenten vor der eigentlichen Wahl behandelt werden müsse. Diese Entscheidung stellte klar, dass Abgeordnete das Recht haben, ihre Geschäftsordnung jederzeit zu ändern. Damit fand ein seit Jahrzehnten bestehender parlamentarischer Brauch – der in der Regel die stärkste Fraktion für den Landtagspräsidenten vorsah – sein Ende. Auch wenn dieser Brauch rechtlich nicht geschützt war, war er Ausdruck einer gewissen demokratischen Kultur und Überparteilichkeit, die nun zunehmend verloren geht.

Trotz der hitzigen Debatte in den Tagen zuvor verlief die Fortsetzung der Sitzung ruhiger und professioneller. Vor allem die Abgeordneten von CDU und AfD trugen ihre Argumente zivilisiert vor, was nach dem Chaos der ersten Sitzung überraschte. Schließlich wurde der CDU-Kandidat Thadäus König zum Landtagspräsidenten gewählt, während die AfD-Kandidatin Wiebke Muhsal sowohl für das Präsidentenamt als auch für das Amt der Vizepräsidentin scheiterte. Besonders interessant war hierbei das Abstimmungsverhalten der AfD, die nicht bei allen Kandidaten der anderen Parteien geschlossen dagegen stimmte. Dies deutet auf mögliche Nuancen in ihrer politischen Strategie hin.

 

Recht als Waffe und der Fall des Gewohnheitsrechts

Gleichzeitig zeigt sich in Thüringen eine zunehmende Politisierung des Rechts. Während es früher oft Konsens über parlamentarische Gebräuche gab, wird das Recht nun stärker dazu verwendet, politische Gegner auszuschalten. Der Konflikt um die Geschäftsordnung im Thüringer Landtag ist ein Beispiel dafür, wie schnell jahrzehntealte Konventionen außer Kraft gesetzt werden können, wenn sie den politischen Interessen nicht mehr dienlich erscheinen.

Das Landesverfassungsgericht entschied zugunsten der neuen Regelungen, was den bisherigen Brauch beendete, dass die stärkste Fraktion den Parlamentspräsidenten stellt. Der Verweis auf den sogenannten “originären Parlamentarismus”, der es erlaubt, Entscheidungen auch ohne formelle Abstimmung durch Akklamation zu treffen, zeigt, wie weit die Instrumentalisierung rechtlicher Mechanismen gehen kann. Dieser Begriff, der vom Verfassungsblog geprägt wurde, erinnert an die Theorien von Carl Schmitt, dem berüchtigten Staatsrechtler, der das Freund-Feind-Denken in die juristische Theorie einbrachte. Schmitt hätte die politische Selbstermächtigung durch juristische Mittel sicherlich begrüßt.

Die Rolle des Verfassungsgerichts und die Bedeutung von Macht

Das Verfassungsgericht entschied einstimmig, dass der Landtag das Recht hat, seine Geschäftsordnung zu ändern, bevor er sich überhaupt konstituiert. Dies zeigt, dass politische Macht und die Interpretation des Rechts zunehmend ineinander greifen. Obgleich die AfD in diesem Fall ausgegrenzt wurde, stellt sich die Frage, was geschehen wird, wenn sie in Zukunft eine Mehrheit erlangt. Wie würde sie diese neuen rechtlichen Spielräume nutzen?

Mario Voigt, der CDU-Vorsitzende, betonte, dass der chaotische Sitzungstag zeige, welche Gefahr die AfD darstelle, selbst wenn sie nur ein kleines Stück Macht erhalte. Doch der eigentliche Irrtum liegt darin, dass die AfD bislang keine wirkliche Macht besaß – sie wurde vielmehr konsequent von allen anderen Parteien ausgegrenzt. Diese Ausgrenzung, so die Lehren aus der Vergangenheit, hat die AfD jedoch nicht geschwächt, sondern gestärkt.

Fazit: Ein Angriff auf Bräuche und Demokratie?

Die Geschehnisse in Thüringen sind mehr als nur ein politischer Konflikt; sie zeigen, wie tief die Spaltung in der politischen Landschaft geht. Traditionen und demokratische Konventionen, die früher als selbstverständlich galten, werden zunehmend aufgegeben, um politische Gegner zu bekämpfen. Die Entscheidung, der AfD keine prominenten Ämter zuzugestehen, mag aus der Sicht der etablierten Parteien legitim sein, trägt jedoch zur weiteren Radikalisierung und Stärkung der Partei bei.

Das Fazit, das viele aus diesen Entwicklungen ziehen, lautet: Wenn Recht und Tradition nur noch als Werkzeuge im Machtkampf eingesetzt werden, könnte dies langfristig zu einer Erosion der demokratischen Kultur führen. Carl Schmitt hätte diese Entwicklungen sicherlich mit Genugtuung beobachtet.

Doch die Frage bleibt, ob die etablierten Parteien den Schaden, den sie in ihrem Kampf gegen die AfD anrichten, überhaupt noch erkennen.

Bilder:

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