Er kann es so machen, musste es aber nicht. Nun hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen seine Karten auf den Tisch gelegt und den leidigen Gesprächsrunden der vergangenen drei Wochen ein Ende gesetzt. Dabei betritt das Staatsoberhaupt Neuland. Denn erstmals in der Geschichte wird nicht dem Wahlsieger bzw. dem Erstplatzierten – der FPÖ mit Herbert Kickl – der Regierungsbildungsauftrag erteilt, sondern ÖVP-Chef Karl Nehammer, dem Zweitplatzierten. Was bei den Linken begrüßt und sogar als geschicktes Manöver des Bundespräsidenten gefeiert wird, könnte sich auf lange Sicht als Bumerang erweisen, der einigen noch um die Ohren fliegen könnte.

Van der Bellens Entscheidung hat einen bitteren Beigeschmack

Denn die Art und Weise, wie seit der Nationalratswahl am 29. September mit dem Wahlergebnis umgegangen und die Sondierungsgespräche geführt wurden, ist ein Schmierentheater erster Güte. Ungeachtet des Ergebnisses detaillierter Gespräche hätte der Bundespräsident an der bisherigen Tradition festhalten sollen und Herbert Kickl mit der Bildung einer Regierung beauftragen müssen. Was Kickl aus diesem Auftrag gemacht hätte, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Jedenfalls wäre es ein Zeichen der Unabhängigkeit und des Respekts gegenüber den Wählern gewesen, wenn Van der Bellen dem Willen des Volkes entsprochen und an der bisherigen Vorgehensweise festgehalten hätte. Auch das Argument, dass 71 Prozent nicht die FPÖ gewählt haben, hat auch in der Vergangenheit nie gegolten. Da gab es sogar Regierungsbildungsaufträge an die SPÖ mit einem noch schlechteren Ergebnis als Erstplatzierter. Damals  – zum Beispiel 2013 – war keine Rede davon, dass 73 Prozent die SPÖ nicht gewählt haben. Der Regierungsbildungsauftrag wurde ohne mit der Wimper zu zucken erteilt.

Nun aber hat Van der Bellens Entscheidung einen bitteren Beigeschmack. Der Wahlsieger wird einfach übergangen. Damit widerspricht er auch seinen eigenen Aussagen vom Tag nach der Wahl, als er noch meinte, dass es für die Gespräche „nötige Ruhe und Tiefe“ brauche. Entstanden ist jedoch Unruhe nach offensichtlich oberflächlichen Gesprächen, und Van der Bellen macht sich damit zum ersten Wahlhelfer Kickls. Denn der blaue Parteichef kann sich nun mit seinen Parteifreunden zurücklehnen und genüsslich zuschauen, wie womöglich krampfhaft eine Dreierkoalition gebildet wird und aufgrund der weit auseinanderliegenden Positionen – besonders von ÖVP und SPÖ – wieder nur Minimalkompromisse erzielt werden. Denn eines ist klar: Jede Partei muss Ergebnisse liefern, was auch bedeutet, dass Zugeständnisse an die anderen gemacht werden müssen. Es kann also durchaus passieren, dass wir ein Koalitionsabkommen sehen, das mit Überschriften gefüllt ist, aber keine konkreten Maßnahmen und Vorhaben enthält. Auch für die NEOS, als möglicher dritter Partner, steht die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel.

Ob das bei den Menschen gut ankommt?

Letztlich hat der Bundespräsident auch Kanzler Karl Nehammer einen Bärendienst erwiesen. Es mag gut klingen, nun den Regierungsbildungsauftrag erhalten zu haben. Nehammer muss sich jedoch strecken und ist praktisch dazu verdammt, eine Koalition an der FPÖ vorbei auf den Weg zu bringen. Dass jemand den Regierungsbildungsauftrag erhält, der drei Jahre lang Kanzler war, obwohl er dafür nie zur Wahl stand und nun sogar mit einem Minus von über 11 Prozent das Vertrauen des Bundespräsidenten erhält, schürt in der Bevölkerung den Eindruck, dass die FPÖ mit aller Kraft verhindert werden muss. Ob das bei den Menschen gut ankommt?

Text: Eva Schütz, Kommentar, Exxpress.at

Bild: Netzfund