Fake-Debatte: #Correctiv im Schauspiel-Modus!

Staatstheater im Staatsstreich-Modus

Zwei Staatstheater-Tage liegen hinter uns. Am Mittwochabend gab es eine Aufführung im Berliner Ensemble und am Donnerstagnachmittag im Reichstag. An beiden Orten kam die Correctiv-Geschichte einer geheimen Verschwörung zur Vertreibung von Millionen auf die Bühne. 

Das Publikum im Berliner Ensemble war offensichtlich begeistert, wenn man den Applaus am Ende der Vorstellung zum Gradmesser nimmt.

Die Begeisterten haben womöglich übersehen, dass trotz aller Inszenierungskunst immer wieder durchschimmerte, dass es sich bei dem Potsdamer Treffen eben nicht um eine Geheimkonferenz handelte, die einen Geheimplan ausheckte, der Vergleiche mit der Wannsee-Konferenz zulässt, sondern um eine Runde, in der Geld für politische Projekte gesammelt wurde, die für staatliche Fördertöpfe viel zu rechts wären.

Dazu gab es ein Programm, das inhaltlich zur Zielgruppe passte. Und dabei hat bekanntlich Martin Sellner als quasi Stargast seine Idee von der „Remigration“ referiert, wie er das schon oft getan hat und wohl weiter tun wird. Dagegen kann natüriich jeder Gegner solcher Ideen lautstark protestieren, doch wer Freiheit will, muss akzeptieren, dass sie auch für diejenigen gilt, deren Ideen man ablehnt. Doch selbst wer damit Schwierigkeiten hat und es für skandalös hält, dass sich Menschen in einem privaten Rahmen über solche Dinge unterhalten dürfen, müsste zumindest erkennen, dass hier kein Verschwörerkreis die Fahrpläne für Deportationzüge schrieb. 

Die bei dem Spendensammel-Gesprächskreis verhandelten Inhalte waren alles mögliche, nur nicht neu oder geheim. Die etwas klandestine Anmutung, die die Autoren der „Enthüllung“ vom staatlich geförderten, „gemeinwohlorientierten Medienhaus“ (Eigenbeschreibung) Correctiv möglicherweise zur Umdeutung als „Geheimtreffen“ veranlassten, kann ganz handfeste Ursachen haben. Jede Veranstaltung, die als rechts gilt, ist für den Vermieter der jeweiligen Räume inzwischen mit dem Risiko behaftet, dass ihm ein Antifa-Trupp das Haus zerlegt. Etliche Gastwirte, bei denen sich die AfD für eine Veranstaltung einmietete, haben das in den letzten Jahren erlebt, und viele sind wegen entsprechender handfester Drohungen inzwischen nicht mehr bereit, Räume an die AfD zu vermieten. 

Doch auf der Theaterbühne dient die große Vorsicht der Erzählung eines Geheimtreffens. Richtig daran ist natürlich, dass etliche Gesprächsrunden, die der Geldeinwerbung dienen, kein Interesse an der Öffentlichkeit haben. Doch das ist keine exklusiv rechte Spielart. Das ist in vielen Bereichen so.

Neonazi mit ironischem Ton

Zu der Aufführung des Correctiv-Stücks im Berliner Ensemble erscheint später u.a. im Achgut-Newsletter mehr. Deshalb soll hier nur kurz auf die vollmundig versprochene neue Enthüllung eingegangen werden, mit der Correctiv die Theaterpremiere begleitete:

„‚Mein Name ist Mario Müller‘, so stellt er sich bei dem Geheimtreffen vor, ‚ich bin gewaltbereiter Neonazi.‘ Im ironischen Ton sagt er das laut Quellen, zieht es gleich ins Lächerliche: Das gelte nur, wenn man linken „Denunziationsportalen“ glaube.“

Müller ist wegen gefährlicher Körperverletzung vorbestraft. Insofern wirft seine Anwesenheit in einer dezidiert bürgerlichen Runde verständlicherweise Fragen auf, wenn man sich mit diesem Gesprächskreis beschäftigt. Er soll in seinem Vortrag über eigene Gewalttaten gegen Linksextreme berichtet und in Potsdam um Unterstützung für seinen Kanal „Dokumentation Linksextremismus“ geworben haben, „der auf der Plattform X geleakte Details über linke Akteure verbreitet“, wie Correctiv schreibt. Nicht schön, aber auch nichts exklusiv Rechtes. Linksextreme verbreiten Namen und Anschriften von Rechten ebenfalls, was erwartbar zu gewaltsamen Übergriffen führt. Doch der Umstand, dass es das auf der Linken auch gibt, macht es nicht besser.

Müller bestreitet die Correctiv-Darstellung seines Auftritts allerdings. Und so verstörend oder bezeichnend der Auftritt eines verurteilten Gewalttäters in dieser Runde auch sein mag, die Erzählung vom großen Geheimplan zur Deportation vieler Millionen Menschen belegt er nicht. Allerdings ist Müller auch Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt. Nach der Correctiv-Bühnendarstellung soll er in der Potsdamer Runde damit geprahlt haben, welche Möglichkeiten der Informationsbeschaffung er als Mitarbeiter eines Abgeordneten habe. Aber stützt das eine „Geheimplan“-Erzählung, die Assoziationen mit der Wannsee-Konferenz rechtfertigt?

Und wenn Correctiv selbst sorgsam berichtet, dass Müller der zuvor dargebotenen Darstellung seines Auftritts widerspricht, dann scheint die Beweisdecke etwas dünn zu sein. Wie es damit generell aussieht, ist auch noch spekulativ. Wir erfahren immerhin, auch das war ja neu, dass ein Correctiv-Mitarbeiter im Hause Bild- und Tonaufzeichnungen mit seiner Uhr machen konnte, aber welchen Umfang die hatten, darüber wird noch geschwiegen. Vielleicht erwarten uns noch weitere dramaturgische Höhepunkte.

 

„Wir passen auf Euch auf“

Einen gab es im Bundestag am Tag nach der Aufführung im Berliner Ensemble. „Wehrhafte Demokratie in einem vielfältigen Land – Klare Kante gegen Demokratiefeinde und Vertreibungspläne“, war der Titel einer Aktuellen Stunde, die auf Antrag der Regierungsparteien kurzfristig in die Tagesordnung aufgenommen wurde. Und hier wurde richtig aufgedreht, ganz so, als stünde ein Staatsstreich bevor, nach dessen Gelingen die AfD die in Potsdam schon geplante Deportation der Millionen in die Tat umsetzen würde. Etliche Abgeordnete sprachen von der Angst der Migranten und der Deutschen mit Migrationshintergrund.

„Allen diesen Menschen, die sich von der AfD und anderen Rechtsextremen bedroht fühlen, allen diesen Menschen sagen wir als demokratische Mitte des Paraments heute in aller Deutlichkeit und Klarheit: ‚Wir passen auf Euch auf‘“, rief der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil mit Predigerstimme ins Plenum. Ob die Angesprochenen wirklich wollen, dass Genosse Klingbeil auf sie aufpasst? Mit der Frage hält sich Klingbeil nicht auf, sondern macht deutlich, welcher Erzählung der Potsdamer Gesprächsrunde er folgt.

„Da kommt eine exklusive Runde in einer Edel-Villa zusammen und plant, Millionen Menschen zu aus diesem Land zu vertreiben, finanziert von reichen Leuten, die ihre völkische Energie umgesetzt sehen wollen. (…) Aber sagen Sie doch mal, welche Interessen verfolgen Ihre Geldgeber. Legen Sie doch heute hier in dieser Aktuellen Stunde offen auf den Tisch, wer die Hintermänner sind, die Ihre Politik finanzieren und mit Ihnen den Staatsstreich planen. Stimmt es eigentlich, Herr Chrupalla, dass Sie auch an früheren Treffen dieses Arbeitskreises Deportation teilgenommen haben?“

Herr Chrupalla sagte nichts. Nur Bernd Baumann, der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, ging für seine Partei zu diesem Thema ans Rednerpult. Er sprach von einer „hinterhältigen Kampagne“ und über die Panik der Regierenden wegen des steigenden Wähler-Zuspruchs für die AfD, weshalb sie nun vor gar nichts mehr zurückschrecken würden. Bemerkenswert war an diesem Auftritt eigentlich nur, dass es der einzige aus der AfD-Fraktion war. Die Angeklagten überließen das Rednerpult den Anklägern.

Und die klagten auch an. „Barbarische Pläne einer Massendeportation“, hieß es von der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann. Ihr Urteil: „Es sind Faschisten!“

Wenn niemand mithört

Konstantin Kuhle von der FDP schien es vor allem das Geheime an der „Geheimkonferenz“ angetan zu haben: 

„Es handelt sich dabei um einen Vorgang, von dem es die AfD gerne gehabt hätte, dass er nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickt, und es ist doch mal interessant darüber nachzudenken und zu sprechen, wie die AfD eigentlich spricht, was sie so sagt und was sie plant, wenn sie denkt, dass niemand mithört. 

Ob der Abgeordnete Kuhle, immerhin aus einer Partei, die einmal als liberal galt, einen Gedanken daran verschwendet hat, dass viele Menschen auch gern wüssten, was bei den Regierungsparteien so gesagt und geplant wird, wenn niemand mithört. Vielleicht wäre ihm dann auch eingefallen, dass es gute Gründe dafür gibt, dass die Bürger vor legalem Mit- bzw. Abhören weitgehend geschützt sein sollten. 

Innenministerin Nancy Faeser drohte anschließend: „Wir wollen auch die Finanzströme dieses Milieus trockenlegen“.

Wen meint sie mit dem „Milieu“? Geht es nur um gewaltbereite Extremisten? Oder auch um Radikale? Oder auch das AfD-Umfeld? Frau Faeser berief sich, wie viele Redner an diesem Tag, auf das Grundgesetz. Aber nach diesem dürfen sich selbst Menschen mit unangenehmen Weltanschauungen mit Anderen über selbige austauschen. 

Die reflexartigen Verbotsforderungen zeigen, wie illiberal das politische Milieu inzwischen ist. Das war nicht immer so. Machen wir eine kurze Zeitreise. Es war kurz vor dem ersten Corona-Ausnahmezustand vor vier Jahren. Damals machte eine andere Gesprächsrunde Schlagzeilen. Das war kein privater Gesprächskreis, und Vertreter einer bestimmten Partei waren dort nicht als Gäste anwesend, sondern diese Partei war der Veranstalter. Die Welt berichtete damals:

„Auf ihrer ,Strategiekonferenz‘ in Kassel wollte die Partei Die Linke diskutieren, wie sie bei gesellschaftlichen Grundsatzfragen ,erfolgreich eingreifen‘ könnte. Dazu trafen sich Parteichef Bernd Riexinger und andere Vertreter der Partei mit Mitgliedern am 29. Februar und 1. März. Als es während einer Podiumsdiskussion unter dem Titel ,Das Land verändern: für einen sozial-ökologischen Systemwechsel‘ um den Klimaschutz geht, ergreift eine Frau in der ersten Reihe das Wort. Am Ende ihres längeren Vortrags ist ihr noch wichtig, eines zu betonen. Die Energiewende sei auch ,nötig nach ’ner Revolution‘.

Dann sagt sie: ,Und auch wenn wir das ein Prozent der Reichen erschossen haben, ist es immer noch so, dass wir heizen wollen, wir wollen uns fortbewegen.‘ Ihre Worte rufen Gelächter und Beifall hervor, es entsteht eine kurze Unruhe samt murmeln. Die Dame bleibt hart: ‚Na ja, ist so! Wir müssen mal von dieser Meta-Ebene runterkommen.‘ Als sie noch über Fotovoltaik referieren will, wird ihr Beitrag von der Bühne aus beendet. Sie wird mit Sandra angesprochen, ob und welches Amt sie hat, ist unklar.

Der Parteichef der Linken, Bernd Riexinger, antwortet der Frau direkt und sagt: ,Ich wollt‘ noch sagen, wir erschießen sie nicht, wir setzen sie schon für nützliche Arbeit ein.‘ Auch dafür erntet er Beifall und Lacher aus dem Publikum.“

Und was geschah? Es gab berechtigte Empörung. Die Genossen entschuldigten sich ein wenig, fühlten ansonsten ihre Worte aus dem Kontext gerissen. Aber wie oft verlassen auch auf dieser Seite die Gedankenspiele den Rahmen des Grundgesetzes? Wie oft kommen denn in linken Gesprächskreisen Enteignungen zur Sprache? Gibt es danach Forderungen der Anderen nach Brandmauern?

2020 hat auch niemand ein Verbotsverfahren gegen die SED-Nachfolger wegen solcher Entgleisungen gefordert. Und jetzt soll die Teilnahme von Mitgliedern der AfD an einem Gesprächskreis über „Remigration“ ein Parteiverbots-Verfahren rechtfertigen? Merken die Verantwortlichen der etablierten Parteien nicht, dass sie damit signalisieren, sie würden selbst fürchten, mit ihrem Politik-Angebot vor den Wählern nicht mehr gegen die AfD bestehen zu können? Wenn sie diese Erkenntis gewonnen hätten, dann sollten sie vielleicht eher über ihr Politik-Angebot nachdenken.

 

Text: Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.

Bild: Radio Qfm.

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