Ein Standpunkt von Norbert Häring.
Am 16. Januar beginnt das Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums.
Dutzende der wichtigsten Politiker und Chefs von internationalen Organisationen pilgern nach Davos, um den Herren des Geldes ihre Aufwartung zu machen.
Doch die Zurschaustellung der wahren Machthierarchie kommt zunehmend in Verruf, wie das Bilderberg-Treffen zuvor. Zu Recht, denn in Davos findet regelmäßig so etwas wie ein heimlicher Bilderberg-Ersatz statt.
Wenn es nach der Selbstdarstellung des Weltwirtschaftsforums geht, dann handelt es sich bei dieser Lobby der 1.000 weltgrößten Konzerne um eine selbstlose Organisation zur Verbesserung der Welt durch öffentlich-private Zusammenarbeit.
Doch in seiner Ankündigung der Jahrestagung sieht sich das Forum dieses Jahr genötigt, darauf einzugehen, dass es trotz seines selbstlosen Einsatzes für die Weltverbesserung „Vorwürfe des Elitarismus abwehren“ musste und sich einer Desinformationskampagne ausgesetzt sähe. 5.000 Soldaten müssen das Treffen in den Schweizer Bergen sichern. Die neue Regierungschefin von Alberta, Kanada, Danielle Smith, hat Amtsträger im Gesundheitsministerium gefeuert, weil sie eine Kooperation mit dem Weltwirtschaftsforum eingegangen waren. Der kanadische Oppositionsführer, Pierre Poilievre, hat die enge Verbindung des kanadischen Regierungschefs Justin Trudeau und der Vize-Regierungschefin Chrystia Freeland mit dem Forum zu einem prominenten Wahlkampfthema gemacht. Auch der Regierungschef von Florida, Ron DeSantis hat bereits öffentlich die Einflussnahme des Forums auf die Politik angeprangert.
Waren es früher die Linken, die gegen die Zurschaustellung der Vormacht der Konzerne demonstrierten, kommt die Kritik heute vor allem von rechts, nachdem das Forum die Linke durch floskelhafte Übernahme ihrer Programmatik pazifiziert hat.
Windige Erwiderungen
Dem Vorwurf, ein Treffen von Eliten für Eliten zu sein, begegnet das Forum damit, dass ein Sprecher sagt:
„Die Bemühungen des Forums inklusive Wirtschaftspolitik zu fördern, nützen allen, nicht nur der Elite.“
Seit einem knappen Jahrzehnt diskutieren die Pseudo-Eliten jedes Jahr in Davos, wie man der grassierenden Ungleichheit Einhalt gebieten kann, die darin besteht, dass die Besitzer der 100 Top-Konzerne, die im Forum das Sagen haben, immer noch reicher und mega-reicher werden. Ein Eingeständnis des Scheiterns hört man aus Davos dennoch nie. Es wird sicherlich nicht so empfunden, als würde man scheitern, wenn man immer reicher wird.
Mit der Desinformationskampagne bezieht sich das Forum auf die dauer-virale Kritik an dem Slogan
„You will own nothing and you will be happy“
(Du wirst nichts besitzen und du wirst glücklich sein.)
Hier ergehen sich die Davos-Elitären selbst in massiver Desinformation, um die völlig legitime Kritik mit allen möglichen Tricks zu delegitimieren. Es habe alles 2016 harmlos angefangen mit einem Meinungsstück einer dänischen Parlamentarierin auf der Forums-Netzseite mit dem Titel: “Welcome to 2030: I own nothing, have no privacy and life has never been better.” (Willkommen im Jahr 2030: Ich besitze nichts, habe keine Privatsphäre und das Leben war nie besser.)
Was Adrian Monk, Managing Director des Weltwirtschaftsforums, in seinem Verteidigungstext arglistig verschweigt: Diesen Text nahm das Forum zur Vorlage für ein Video über „8 Vorhersagen über die Welt im Jahr 2030“, das mit
„You’ll own nothing and you’ll be happy“ beginnt und weitergeht mit „Was immer du haben möchtest, mietest du, und es wird per Drohne geliefert.“
Stattdessen behauptet er, eine antisemitische Netzseite habe sich den Slogan „Own nothing, be happy“ ausgedacht. Der Antisemitismusvorwurf zieht immer, ist erkennbar die Idee dahinter. Und so beschränkt sich die Auseinandersetzung Monks mit dem Vorwurf, das Forum wolle, dass wir nichts mehr besitzen, im Wesentlichen darauf, selektiv anrüchige Netzseiten aufzuzählen, auf denen die Kritik (auch) geäußert wurde und auszubreiten, was an diesen Seiten anrüchig ist. Das ist das Kontaktschuldargument im Exzess: niemand soll sich mehr trauen, Kritik, die auch auf solchen Seiten zu finden ist, öffentlich zu äußern.
Besonders weh tat es dem Forum offenbar, wie Pierre Poilievre den Regierungschef Kanadas Justin Trudeau öffentlich bezichtigt, eine Marionette des Weltwirtschaftsforums zu sein, und dass der eher linke Satiriker Russel Brand mit seiner riesigen Zuschauerschaft das Thema aufgegriffen hat. Als Reaktion darauf verlinkt Monk auf einen geschwätzigen Artikel auf The Wrap, in dem Brand aus ganz anderem Anlass, nämlich weil er Hilary Clinton kritisierte, unterstellt wird, ins rechte Lager abzudriften. Zu Poillevre fällt ihm nichts ein. Was auch, müsste er doch sonst auf das von Forumschef Klaus Schwab kursierende Video eingehen, in dem er feststellt, dass das Forum „die Kabinette penetriert“, und sich beispielhaft damit brüstet, dass das halbe kanadische Kabinett (Regierungsmannschaft) aus Young Global Leaders des Weltwirtschaftsforums bestehe.
Alles nicht so gemeint
An den Artikel der dänischen Parlamentarierin durfte diese übrigens folgenden dummdreisten Nachtrag anhängen:
„Einige Leute haben diesen Blog als mein Utopia oder meinen Traum für die Zukunft interpretiert. Das ist nicht richtig. Es ist ein Szenario, das zeigt, wohin wir gehen könnten, zum Guten oder zum Schlechten.“
Das wirkt nicht sehr überzeugend, bei einer Überschrift, die endet in „(…) und ich werde glücklich sein“ und direkt nach einem Resümee, das (nach kurzer Erwähnung möglicher Nachteile) lautet:
„Alles in allem ist es ein gutes Leben. Viel besser als der Weg, auf dem wir uns befanden, als klar wurde, dass wir nicht mit demselben Wachstumsmodell weitermachen konnten. Wir hatten all diese schrecklichen Dinge: Zivilisationskrankheiten, Klimawandel, die Flüchtlingskrise, Umweltzerstörung, völlig überfüllte Städte, Wasserverschmutzung, Luftverschmutzung, soziale Unruhen und Arbeitslosigkeit. Wir haben viel zu viele Menschen verloren, bevor wir erkannten, dass wir die Dinge anders machen können.“
Über die vielen Projekte wie Internet of Things, Internet of Bodies, ID2020 und Known Traveller, mit denen das Weltwirtschaftsforum und seine Alliierten daran arbeiten, diese Totalüberwachungs- und Kontrollvision Wirklichkeit werden zu lassen, habe ich oft genug geschrieben. Es kann für mich keinen Zweifel geben, dass der provokante Slogan „Own nothing, be happy“, den das Forum ins Schaufenster gestellt hat, seiner Programmatik entspricht.
Die Herren der Welt und ihr Beziehungsgeflecht
Naiverweise halten es die Verantwortlichen des Forums für eine wirksame Verteidigung gegen den Vorwurf des Elitismus, wenn eine wohlgesonnene Institution, die London School of Economics, schreibt:
„In der Summe hat das Weltwirtschaftsforum nun einen breiteren Fokus. Es schafft nicht nur Konsens durch Dialog, sondern identifiziert auch Führungspersönlichkeiten und bringt diese dazu zu handeln.“
Eigentlich ist in der Demokratie die Idee, dass nicht Konzernlobbyisten die politischen Führungskräfte aussuchen, sondern das Volk. Doch um diesen Prozess zu steuern, treibt das Weltwirtschaftsforum großen Aufwand. Es gibt eine eigene Stiftung, die die Young Global Leaders des Forums kürt und Programme für diese finanziert. Die vielversprechenden Politiktalente und potentiell Einflussreiche aus Kunst, Kultur und Medien unter 40 Jahren werden mit Kursen in Harvard und gemeinsamen Fahrten in politische Machtzentren bedacht, sowie untereinander, mit den Ehemaligen und mit Konzerngrößen vernetzt und aufgebaut. Jedenfalls wenn sie hinreichend willfährig und ideologisch konform erscheinen.
Für die unter 30-Jährigen gibt es die Global Shapers, auch mit eigener Stiftung. Wer zum Global Shaper auserkoren wird, findet fast überall auf der Welt einen der 400 Hubs für diese Gruppe, wo er sich sofort in ein gemachtes Beziehungsnest setzen kann. Die Global Shapers wiederum gehen in die Schulen und scouten dort nach den Überfliegern, die man frühzeitig für die Vorzüge einer Liaison mit der Konzernwelt gewinnen könnte.
Eine eindrucksvolle Anzahl der wichtigsten Politiker, wie Angela Merkel, Annalena Baerbock, Jens Spahn, Tony Blair und Nicolas Sarcozy, um nur einige wenige zu nennen, haben das Eliteförderungsprogramm des Weltwirtschaftsforums durchlaufen.
Politiker machen ihre Aufwartung
Nach einer Ankündigung des Weltwirtschaftsforums von November werden folgende Spitzenpolitiker dieses Jahr in Davos erwartet, (in Originalreihenfolge):
Olaf Scholz, Ursula von der Leyen (Präsidentin EU-Kommission), Roberta Metsola, (Präsidentin EU-Parlament), sowie die Präsidenten oder Ministerpräsidenten von Korea, Südafrika, Spanien, Schweiz, Azerbaijan, Belgien, Kolumbien, Kongo, Finnland, Griechenland, Irland, Moldau, Marokko, Niederland, Philippinen, Polen, Serbien, Tansania und Tunesien.
Scholz und von der Leyen dürfen prominent Reden halten.
Auch die stellvertretende kanadische Regierungschefin Freeland, die nebenher im Kuratorium des Weltwirtschaftsforums sitzt, darf natürlich nicht fehlen.
Hinzu kommen die Chefinnen und Chefs der US National Intelligence, und der Europäischen Zentralbank, der UN, der Welthandelsorganisation, der Nato, der WHO, der Internationalen Energieagentur, Unicef und Rotes Kreuz. Mit dabei aus der sogenannten „Zivilgesellschaft“ sind auch Luisa Neubauer von Fridays for Future und der Chef der Impfallianz Gavi, neben vielen anderen.
Auch geboten: ein Bilderberg ohne schlechte Presse
Im Programm des Davoser Treffens und in den Ankündigungen findet man wenig darüber, worauf es den hochkarätigsten Teilnehmern vor allem ankommt: Diese kommen nicht, um langweilige Reden und floskelgeschwängerte Podiumsdiskussionen anzuhören, die auch das große Publikum der Welt an den Bildschirmen verfolgen kann. Sie kommen für die informellen Gespräche der Mächtigen untereinander und mit den noch Mächtigeren.
Neben vielen Separee-Veranstaltungen und Einzeltreffen organisiert das Forum seit 1982 etwas, was man als Ersatzveranstaltung für das in Verruf geratene Bilderberg-Treffen verstehen kann: IGWEL.
IGWEL steht für Informal Gathering of World Economic Leaders. Man findet dazu sehr selten etwas. Aber in einer 2010 veröffentlichten Jubiläumsschrift zu 40 Jahren Weltwirtschaftsforum heißt es, es sei ein Treffen hinter geschlossenen Türen und off-the-record (vertraulich):
„Auch heute noch ist das IGWEL als einziger globaler Rahmen für einen interdisziplinären Ideen- und Meinungsaustausch von Regierungschefs für die Teilnehmer enorm attraktiv. (…) Das IGWEL fungiert als informelles System zur Konsensbildung und als Katalysator für die Lancierung neuer Ideen und Initiativen.“
Man darf sicher sein, dass das Forum Wege findet, in dem von ihm veranstalteten Treffen die passenden Ideen und Initiativen zu lancieren. Schließlich ist man ja mit hinreichend vielen Regierungschefs recht eng liiert, weil man geholfen hat, sie groß zu machen. Auch darf man vermuten, dass Konzernvertreter regelmäßig dazu geladen werden, wenn irgendwelche möglichen öffentlich-privaten Partnerschaften angedacht werden, was ja heutzutage in fast jedem Politikbereich die Norm ist. Wissen tut man es nicht, denn über diese Treffen und ihre Teilnehmer wird so gut wie nichts bekannt.
Das ist auch, was sie so attraktiv macht. Eine ähnliche Veranstaltung hinter verschlossenen Türen, das jährlichen Treffen der Bilderberger, hat einen ganz schlechten Ruf bekommen. Zunächst waren auch die Teilnehmerlisten geheim. Aber nachdem diese immer wieder öffentlich wurden, und die Teilnehmer aus der Politik dann heftig für ihre heimliche Teilnahme kritisiert wurden, werden sie öffentlich gemacht. Viele wollen deshalb nicht mehr hingehen.
Beim IGWEL, im schützenden und ablenkenden Rahmen des Davoser Treffens, kann man sich weiterhin fernab jeder öffentlichen Wahrnehmung hinter geschlossenen Türen und ganz vertraulich austauschen. Bekannt wird nur, dass man in Davos war, und das galt bisher vor allem als Ausweiß von Wichtigkeit und gilt immer noch als halbwegs akzeptabel.
Nachtrag (14.1.): Der Standard meint: Privatheit ist ein erlerntes Konstrukt und der Trend geht zum kleineren Wohnraum
Die große österreichische Tageszeitung Der Standard, deren Chefredakteur auf der langen Liste der Davos-Gänger steht, unterfüttert den vom Forum promoteten Slogan „Du wirst nichts besitzen und glücklich sein“, mit einem aktuellen Beitrag, in dem uns von einer Psychologin versichert wird, Privatheit sei nur ein psychologisches Konstrukt und der Trend gehe zu kleinerem Wohnraum. Wegen der Zinsen und der hohen Mieten (die das Kapital verlangt und die nicht hinterfragt werden), fragt die Zeitung: „Doch wie viel Platz braucht eine Familie tatsächlich? Welche Lösungen schaffen Privatsphäre auf wenig Raum? Und wie hält man es auch innerhalb weniger Quadratmeter gut miteinander aus?“
Als Lösung wird unter anderem folgende von Ikea vorgeschlagene Variante präsentiert:
„Die Eltern schlafen in einem Hochbett über der Küche, die beiden Kinder je in einer Nische gegenüber der Küchenzeile. Eine Matratze, die sich aus dem Schrank ausziehen lässt, dient als Sofa, ein Klapptisch an der Wand wird bei Bedarf zum Ess- oder Schreibtisch. Die Wohnung, die hier beschrieben wird, ist nur 30 Quadratmeter groß, besteht im Prinzip aus einem Zimmer und beherbergt dennoch eine vierköpfige Familie.“
Dieser Beitrag erschien zuerst am 13. Januar 2023 auf dem Blog von Norbert Häring.
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