Demonstrationen gegen die Corona-Politik dürfen „vorsorglich“ verboten werden. Das Bundesverfassungsgericht hat mit diesem Eilentscheid einen weiteren Anschlag auf das Grundgesetz gebilligt. Medien und Politik freuen sich derweil über diese „wichtige Orientierung“ für Behörden „zum aktuellen Umgang mit nicht angemeldeten Versammlungen“ von Kritikern der Corona-Politik. Auf der Strecke bleibt einmal mehr die Verfassung. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Das Bundesverfassungsgericht hat ein vorsorgliches Verbot von nicht angemeldeten Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen vorerst gebilligt, wie Medien berichten.
Bei der Entscheidung (Aktenzeichen: 1 BvR 208/22) stehe der „Schutz der Bevölkerung vor Infektionen“ im Vordergrund. Diese Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und die Begründung sind weitere skandalöse Meilensteine in der Erosion der Rechtssicherheit in Deutschland, die momentan auf vielen gesellschaftlichen Gebieten (nicht nur beim Versammlungsrecht) zu beobachten ist.
Freibrief für autoritäre Maßnahmen
Das deutsche Justizsystem hatte bereits vor Corona zahlreiche Defizite – wie aber (zusätzlich dazu) seit zwei Jahren die offizielle und mediale Verweigerung rationaler Betrachtungen auch auf viele Juristen übergreift, ist kaum noch in Worte zu fassen. Auf die schwache Begründung der vorgreifenden Demo-Verbote mit dem „Infektionsschutz“ (im Freien) sowie auf das überstrapazierte „Super-Grundrecht Gesundheit“ wird weiter unten im Text eingegangen. Bereits in seiner Entscheidung zur „Bundesnotbremse“ im vergangenen November hat das BVerfG fragwürdig geurteilt, wie die NachDenkSeiten geschrieben haben:
„Die aktuellen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, nach denen Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen sowie Schulschließungen verfassungskonform waren, können die rechtlichen Bedenken gegen die Corona-Politik nicht zerstreuen. Stattdessen haben sie zusätzliche Zweifel an der Integrität des Gerichts geweckt. Medien und Politik fühlen sich nun von dem Urteil beflügelt und zu weiteren autoritären Maßnahmen berufen. Viele Bürger fühlen sich im Stich gelassen.“
Diese Beschreibung kann auch auf die aktuelle Eilentscheidung des BVerfG übertragen werden – sowohl was die fragwürdigen Inhalte betrifft als auch was die Verwendung des Entscheids durch große Medien angeht: So beschreibt etwa die „Tagesschau“ das prophylaktische und an die politische Ausrichtung der jeweiligen Proteste gebundene Verbot von Versammlungen als „eine wichtige Orientierung“ für Behörden und Verwaltungsgerichte „zum aktuellen Umgang mit nicht angemeldeten Versammlungen von Gegnern der Corona-Maßnahmen“. Die Leichtfertigkeit, mit der hier offensichtlich verfassungswidrige Handlungen verteidigt werden und damit Rechtsprinzipien beschädigt werden, für die Generationen von Bürgern gekämpft haben, kann einem den Atem rauben.
Mutige Richter
Es gibt aber auch mutige Ausnahmen unter den deutschen Richterinnen und Richtern, in der gegenwärtigen Stimmung ist ihre Standhaftigkeit besonders hervorzuheben: So wurde das „Einschreiten“ des BVerfG erst „nötig“, weil zuvor in einigen Eilentscheidungen Verwaltungsgerichte, etwa in Stuttgart und Karlsruhe, in erster Instanz vorsorgliche Untersagungsverfügungen der Behörden gegen Demos gekippt hatten.
Auch gegen diese „rebellischen“ Richter sind die Kollegen aus Karlsruhe nun vorgegangen.
In anderen Fällen renitenter Richter wurde zur Behinderung weiterer kritischer Urteile gleich ein neuer Senat für Entscheidungen zu Corona-Maßnahmen geschaffen, wie Medien berichten, etwa nachdem das niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg die 2G-Regel für den Einzelhandel gekippt hatte.
Es gab in einzelnen Bundesländern weitere gute Gerichtsentscheidungen, zum Beispiel gegen 2G im Einzelhandel oder an Universitäten.
Andererseits kam das Thüringer Oberverwaltungsgericht kürzlich zu der unhaltbaren Feststellung, dass in den unterschiedlichen Regelungen für Geimpfte und Genesene sowie Ungeimpfte keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung zu erkennen sei.
Bezüglich dieser ganz offensichtlich verfassungswidrigen Ungleichbehandlungen wurde in den letzten Monaten ein destruktiver Wettlauf um die härtesten Schikanen gegen andersdenkende Mitbürger entfesselt – dieser Wettlauf wird durch manche Richter indirekt abgesegnet.
Ignoranz gegenüber „der Wissenschaft“
Das Bundesverfassungsgericht habe in der aktuellen Eilentscheidung zu den Demo-Verboten nun eine Folgeabwägung vorgenommen, so Medien: Der Staat habe demnach die Pflicht, die Bevölkerung vor Infektionen zu schützen, und damit deren verfassungsrechtlich garantiertes Recht auf Leben und Gesundheit nach Artikel 2 Grundgesetz. Dem komme im Moment ein besonders erhebliches Gewicht zu. Doch wie verhält es sich mit diesem „Gewicht“, wenn doch seit Monaten als gesichert gilt, dass „die Übertragung der SARS-CoV2-Viren fast ausnahmslos in Innenräumen stattfindet“, wie etwa die Gesellschaft für Aerosolforschung (und damit ja wohl „die Wissenschaft“) mitgeteilt hat?
Dieser Befund lässt die „Begründung“ von Demo-Verboten durch das BVerfG (und andere Gerichte) mit dem „Infektionsschutz“ zusammenbrechen. Die Versammlungsverbote erscheinen dann als das, was sie sind: als eine politisch motivierte Unterdrückung von Meinungsäußerungen Andersdenkender. Die Demo-Verbote sind nicht nur wegen der fehlenden medizinischen Grundlage besonders aufreizend, dazu kommt noch der Aspekt der Ungleichbehandlung, etwa wenn Gegendemos zu Demos, die verboten wurden, erlaubt werden.
Die sich in der Frage der „Infektionen“ im Freien spiegelnde Ignoranz des BVerfG gegenüber eben jener „Wissenschaft“, auf deren Urteil man doch permanent pocht, weist einmal mehr auf die absolute Grundfrage der gesamten Corona-Episode hin: Wie gefährlich ist das Virus tatsächlich? Wer kann den offiziellen Corona-Zahlen nach den Manipulationen der letzten Monate überhaupt noch über den Weg trauen? Wie geeignet sind solche Zahlen noch, um wichtige Grundrechte außer Kraft zu setzen?
Wenn, wie es bereits beim Urteil des BVerfG zur „Bundesnotbremse“ der Fall war, weite Teile der Datenbasis der Entscheidung zweifelhaft sind, dann ist auch die Entscheidung selber und die mit ihr verteidigte Politik hinfällig. Das BVerfG hat in beiden Fällen ganz überwiegend die Darstellungen der einen Streitpartei akzeptiert, obwohl die (schon längst) nicht mehr frei von Zweifeln sind. Das Verfassungsgericht in Österreich richtet sich aktuell immerhin mit einem kritischen Fragenkatalog auch an die offizielle Seite.
Das GG lässt Einschränkungen der Grundrechte zu
Selbstverständlich lässt das Grundgesetz Einschränkungen auch der verbrieften Grundrechte zu, wenn (ja: wenn!) eine extreme Gefahr besteht, der durch andere Maßnahmen nicht Herr zu werden ist. Voraussetzung ist dann, dass das Vorgehen „erforderlich, geeignet und verhältnismäßig“ ist. Umso skandalöser ist es aber, dass die wichtigste aller Fragen unbeantwortet bleibt (bzw. so getan wird, als sei sie definitiv und „längst“ beantwortet): Ist Corona eine extreme gesellschaftliche Gefahr und also ein angemessener Anlass für die erlebten Einschränkungen? Oder erleben wir nicht viel eher eine massive Dramatisierung und einen radikalen Paradigmenwechsel? Wenn die jetzt akzeptierten Kriterien für die Ausrufung einer „Pandemie“ auch in Zukunft gelten sollen: Wird der Zustand jemals enden? Wenn es nicht um „Gesundheitsschutz“ geht: Was sind dann die Motive für die erlebte Politik?
Meiner Ansicht nach richtet sich das nun oft zitierte „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ mindestens auch (als „Abwehrrecht“) gegen staatliche Übergriffe. Durch die momentan sehr einseitige offizielle Auslegung wird der Paragraph jedoch vor allem genutzt, um massive Angriffe auf die Grundrechte zu rechtfertigen.
Abwehrrecht gegen den Staat – aber nur für artige Bürger
Das BVerfG argumentiert zudem, „man müsse davon ausgehen, dass die Teilnehmer sich nicht an Auflagen halten wollten, etwa was das Tragen von Masken oder Einhalten von Abständen betreffe“. Diese Art des prophylaktischen Verbots kommentiert die NZZ folgendermaßen:
„Was für den einen oder anderen freiheitsentwöhnten Bürger nach zwei Jahren Pandemie schlüssig klingen mag, ist in Wahrheit eine brisante Forderung:
Die im Grundgesetz garantierte Versammlungsfreiheit wird von den Richtern in Karlsruhe daran geknüpft, dass sich der Veranstalter einer Versammlung erst einmal kooperativ zeigen muss.
Ein Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat? Ja, aber nur für artige Bürger.“
Quelle: Nachdenkseiten – Tobias Riegel
Bild: Radio Qfm Edition pexels-aleks-magnusson
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