Eine Mitwirkung der deutschen Regierung an der YouTube-Zensur gegen den russischen Sender RT sei eine „Verschwörungstheorie“, sagt Steffen Seibert. Selbst wenn das stimmt – mindestens wegen Untätigkeit ist der deutsche Gesetzgeber mitverantwortlich an einer unhaltbaren Situation: US-Konzerne nehmen willkürlich Einfluss auf den politischen Diskurs in Deutschland. Aus Russland kommen derweil harte verbale Reaktionen auf die Löschung der deutschen YouTube-Kanäle von RT. Von Tobias Riegel.
Es gab in den vergangenen Tagen mehrere bedenkliche Entwicklungen bezüglich der Meinungsvielfalt in Sozialen Medien in Deutschland: Zum einen hat die Videoplattform YouTube, die zum Konzern Google gehört, deutschsprachige Kanäle des russischen Mediums RT gelöscht, wie wir berichtet haben. Zum anderen wurde von der Videoplattform eine Offensive gegen „Falschmeldungen“ im Zusammenhang mit Impfungen gestartet – und Google möchte in die Berichterstattung über Wahlen eingreifen.
Auf die Löschungen der RT-Kanäle gab es inzwischen heftige verbale Reaktionen aus Russland, auf die wiederum von deutscher Seite aus Medien und Politik reagiert wurde.
Bundesregierung und Zensur: „Verschwörungstheorie“!
So sagte Regierungssprecher Steffen Seibert laut dpa, dass die Bundesregierung mit der Sperrung der deutschsprachigen Kanäle des russischen Staatsmediums RT bei YouTube nach eigenen Angaben nichts zu tun habe. „Es ist keine Entscheidung der Bundesregierung“, sagte Seibert am Mittwoch in der Bundespressekonferenz. „Weil es da anderslautende Erzählungen gerade auf russischen Kanälen gibt, will ich ganz glasklar sagen: Das ist eine Entscheidung von YouTube“. Die Bundesregierung oder Vertreter der Regierung hätten mit der Entscheidung nichts zu tun. Seibert weiter:
„Wer das also behauptet, der bastelt sich eine Verschwörungstheorie zurecht.“
Es handele sich bei der Löschung nicht um eine Maßnahme von staatlichen Stellen. Man habe die Entscheidung von YouTube lediglich zur Kenntnis genommen. Seibert betonte, für die Bundesregierung sei die Pressefreiheit ein hohes Gut. Aus Sicht der Bundesregierung gebe es „keinen Anlass“ zu „Gegenschlägen“. Wer darüber spreche, zeige „kein gutes Verhältnis zur Pressefreiheit“.
Auf den Aspekt, dass die Betrachtung der Pressefreiheit als hohes Gut eigentlich die Verteidigung von RT gegen die zensorische Willkür eines US-Konzerns erfordern würde, ging Seibert nicht ein. Die Heuchelei, die den Worten Seiberts bezüglich der Meinungsvielfalt innewohnt, wurde auch von der Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, aufgegriffen. Sacharowa fragte mit Bezug auch auf andere Schikanen gegen russische Medien in Deutschland (zum Beispiel Konto-Kündigung oder Verweigerung von Sendelizenzen etc.):
„Erstens, wie schätzt die Bundesregierung das Vorgehen der US-Videoplattform ein, die die deutschsprachigen Kanäle von RT gelöscht hat? Stuft die Bundesregierung solche Schritte als ‘kein gutes Verhältnis zur Pressefreiheit’ ein?“
„Zweitens, ist die deutsche Regierung bereit, die Tätigkeit des deutschsprachigen RT-Dienstes in Deutschland zu fördern, um ein ‘gutes Verhältnis zur Pressefreiheit’ an den Tag zu legen?“
Der Versuch von Seibert, die Hände der Politik bei diesem Thema in Unschuld zu waschen, ist vergeblich: Nehmen wir kurz an, es würde tatsächlich stimmen, dass die deutsche Politik in die Entscheidungen zu den Löschungen überhaupt nicht eingebunden war: Auch dann müsste schleunigst gesetzlich geregelt werden, wer in Deutschland was und warum löschen darf. Denn entweder war die Regierung in die YouTube-Pläne eingeweiht und dadurch indirekt mitverantwortlich – oder der US-Konzern tanzt der deutschen Regierung durch den Alleingang beim Akt der Löschung vor aller Augen auf der Nase herum, indem er selbstherrlich hochsensible „Aufgaben“ in Deutschland wahrnimmt, die ihm niemand übertragen hat. Vorausgesetzt, YouTube handelte von der deutschen Regierung völlig unabhängig: Betrachtet man die russischen Reaktionen, so hat YouTube durch sein Vorgehen – neben der Einschränkung der Meinungsvielfalt – auch den Graben zwischen Deutschland und Russland nochmals vertieft: Eine solche Macht darf privaten Konzernen nicht zugebilligt werden.
US-Tech-Konzerne bestimmen, was „falsche Informationen“ sind
Die weiteren Pläne von YouTube gehen über die aktuelle Zensur von RT weit hinaus: Laut Medienberichten will die Videoplattform künftig „falsche Informationen“ über alle Impfungen und nicht nur zu Corona-Impfstoffen entfernen. Betroffen seien Beiträge, die Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und örtlicher Behörden zu Sicherheit, Effizienz sowie Inhaltsstoffen widersprächen, teilte die Google-Tochter am Mittwoch mit.
Accounts, die wiederholt oder besonders stark gegen die Regeln verstießen, würden von der Plattform verbannt. In diesem Blogeintrag von YouTube wird die Sichtweise des Konzerns geschildert. Einfluss soll wohl auch auf die Berichterstattung zu Wahlen genommen werden, wie Google in diesem Blogeintrag beschreibt.
„Akt einer beispiellosen Informationsaggression“
In einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung fordert die nationale Medienaufsichtsbehörde Russlands (Roskomnadsor), dass „alle Beschränkungen für die YouTube-Kanäle RT DE und Der Fehlende Part (DFP), die von der Nachrichtenagentur RT betrieben werden, so schnell wie möglich aufgehoben werden“. Roskomnadsor stellt gar eine vollständige Sperre für YouTube in Russland in den Raum:
„Für den Fall, dass der Eigentümer der Plattform der Warnung nicht nachkommt, erlaubt uns die Gesetzgebung, Maßnahmen zu ergreifen, einschließlich der vollständigen oder teilweisen Sperrung des Zugangs zu dieser Plattform.“
Für diesen drastischen Schritt gibt es wohl eine gesetzliche Grundlage in Russland – wenn ich den Wortlaut dieses Gesetzes finde, werde ich ihn nachreichen. Im Artikel „Stoppt die Zensur im Internet!“ haben die NachDenkSeiten bereits politische Löschungen thematisiert und Bestrebungen einzelner Staaten beschrieben, solche Löschungen durch US-Konzerne im eigenen Land gesetzlich zu erschweren:
„So will die Regierung in Polen den Anbietern sozialer Medien das Sperren von Konten durch hohe Strafen unattraktiv machen, wie Medien berichten. Und Russland hat laut Thomas Röper ebenfalls gerade ein Gesetz erlassen, das (westlichen) Internetkonzernen Strafen bis hin zur Sperrung in Russland androht, wenn sie russische Medien oder russische Blogger zensieren.“
Erwähnt werden muss aber auch, dass laut westlichen Medienberichten auch in Russland Internet-Auftritte Ziel von Schikanen sind – etwa die von Aleksej Nawalny.
Am Dienstag hatte das russische Außenministerium die Entscheidung, die beiden RT-Kanäle von YouTube zu entfernen, laut Medienberichten als „Akt einer beispiellosen Informationsaggression“ und als „offensichtliche Manifestation von Zensur und Unterdrückung der Meinungsfreiheit“ bezeichnet. Den Diplomaten zufolge handelte YouTube LLC mit „offensichtlicher Duldung, wenn nicht sogar auf Drängen“ der deutschen Behörden. Die Chefredakteurin von RT, Margarita Simonjan, sagte, dass dieses jüngste Geschehen einer „medialen Kriegserklärung Deutschlands gegen Russland“ gleichkomme. Simonjan im Wortlaut:
„Dies ist ein echter Medienkrieg, den der Staat Deutschland dem Staat Russland erklärt hat.“
Simonjan forderte, dass Russland etwa die „ARD- und ZDF-Büros unverzüglich schließt“. Dies sei zumindest aus Selbstachtung vonnöten. Die leidenschaftlichen russischen Reaktionen sind einerseits nachvollziehbar – angesichts der jahrelangen und einseitigen Diffamierungen von deutscher Medien-Seite. Aber sie sind in der erlebten Form auch ein bisschen ungeschickt. So geben sie etwa der FAZ die Steilvorlage, von „Moskaus Maßlosigkeit“ zu sprechen.
Gibt es Zensur von privater Seite überhaupt?
Der Vorgang der RT-Löschung wirft einmal mehr die Frage auf, ob man Löschungen von privater Seite als Zensur bezeichnen dürfe, schließlich könne Zensur ja nur von staatlicher Seite ausgehen, so eine weit verbreitete Argumentation. Diese These ist jedoch überholt. Zensur kann eindeutig auch von privater Seite ausgeübt werden. Die Löschung der RT-Kanäle ist ein neuerlicher Akt der privaten politischen Zensur, der sich an zahlreiche Akte der privaten politischen Zensur anschließt. Dass die deutsche Politik eine solche politische Willkür zulässt, indem sie Löschungen von nicht rechtswidrigen Inhalten duldet und diesen Bereich der Löschungen nicht gesetzlich regelt, ist skandalös. In Deutschland herrscht eine ungesunde Arbeitsteilung bezüglich Zensur zwischen staatlichen und privaten Akteuren. Diese Aspekte haben die NachDenkSeiten kürzlich im Artikel „Facebook behält ‚Hausrecht‘: Freibrief für politische Willkür“ beschrieben:
„Es gibt zu dem Thema widersprechende Ansichten. Manche Beobachter definieren Facebook streng als ein rein privates Unternehmen, das Dienstleistungen anbietet. Der große Erfolg des Netzwerkes und die daraus erwachsende zentrale gesellschaftliche Bedeutung in zahlreichen Ländern dürfe nicht zu Nachteilen für das Unternehmen führen – etwa in der Form, dass dem Unternehmen von Nationalstaaten die Hoheit über die Löschpraxis genommen wird.
Die andere Sichtweise sieht Facebook als zentrales gesellschaftliches Werkzeug der (auch politischen) Kommunikation in zahlreichen Ländern. Dieses Werkzeug sei als Kanal der politischen Meinungsbildung zu wichtig, um die Regie einzig dem US-Unternehmen zu überlassen. Dieser Standpunkt fordert vom deutschen Gesetzgeber, Facebook zur Akzeptanz des deutschen Rechts zu zwingen, und etwa nur Beiträge zu löschen, die Paragrafen wie Beleidigung oder Volksverhetzung verletzen. Die Praxis, dass ein US-Unternehmen nach eigenem Gusto massiv in die politische Diskussion in Deutschland eingreifen kann, muss demnach eingeschränkt werden. Als Richtschnur für Löschungen etc. hätten dann deutsche Gesetze zu gelten und nicht die Geschäftsbedingungen oder die politischen Vorstellungen von Facebook-Mitarbeitern. Diesem Standpunkt schließe ich mich an.“
Zu dem juristisch relevanten Aspekt, ob die „sozialen“ Netzwerke als redaktionell eingreifende Medien oder als ideologisch neutrale „Marktplätze der Meinungen“ zu definieren sind, hat der „Anti-Spiegel“ gerade geschrieben:
„Es gibt Gesetze, die die Arbeit von Medien regulieren und zum Beispiel festlegen, dass Medien für ihre Inhalte haften. Google, Facebook und all die anderen Internetkonzerne sind eigentlich per Definition Medien und müssten unter diese gesetzlichen Regelungen für Medien fallen.
Genau das wollen die aber nicht und argumentieren, sie seien keine Medien, sondern ‚Marktplätze der Meinungen‘, auf denen die User selbst bestimmen, was sie veröffentlichen und diskutieren. Die Internetkonzerne seien nur die Plattformen, die diese Möglichkeit zur Verfügung stellen, sie würden aber – im Gegensatz zu Medien – keine redaktionelle Arbeit machen, für die sie haftbar gemacht werden können. Daher fallen sie – so ihre Argumentation – nicht unter die für Medien geltenden Gesetze und Haftungsregelungen.
Das würde stimmen, wenn die Internetkonzerne tatsächlich keine redaktionelle Arbeit machen würden und die Diskussionen auf ihren Plattformen frei wären. Genau das ist aber – wie die Zensurmaßnahmen ein ums andere Mal zeigen – nicht der Fall. Eingriffe in die Diskussionen auf den Plattformen durch Löschungen, Zensur, Shadowbanning und andere Maßnahmen sind per Definition redaktionelle Arbeit, weshalb die sozialen Medien als Medien angesehen werden und den entsprechenden Haftungsregelungen unterliegen müssten.“
Wer RT unterdrückt, schadet der Meinungsvielfalt in Deutschland
Zum Aspekt, dass mit der Einschränkung von RT auch eine Facette der deutschen Medienlandschaft unterdrückt werden soll, hat Albrecht Müller gerade geschrieben:
„Diese Zensur wird die Substanz der demokratischen Willensbildung in unserem Land beschädigen. Die Redakteure der NachDenkSeiten wissen aus vielen Gesprächen mit Leserinnen und Lesern und aus vielen E-Mails und Hinweisen des Tages, welche produktive Rolle RT Deutsch als „fehlender Part“ für die Meinungsbildung spielt, spielte – muss man jetzt wohl sagen.
Obwohl hier die ach so gepriesene demokratische Willensbildung gestört und zerstört wird, muss man angesichts der medialen Realität davon ausgehen, dass diese Zensur des als demokratisch gefeierten Westens in unseren Medien morgen und an den weiteren Tagen entweder Missachtung oder Beifall findet.“
Das ZDF zum Beispiel versuchte kürzlich die Zensur durch YouTube indirekt zu rechtfertigen, indem es RT diverse Falschaussagen ankreiden wollte. Dieser Versuch ist aber gründlich danebengegangen, wie RT in diesem Artikel nachvollziehbar schildert.
Unterdrückt man ein Medium, dann wird die Meinungsvielfalt eingeschränkt. Dass US-Unternehmen den politischen Diskurs in Deutschland willkürlich und unabhängig von deutschen Gesetzen in dieser Form steuern dürfen, ist ein Skandal. Dass dieser Kampf gegen die Meinungsvielfalt auch von jenen Journalisten geführt oder gerechtfertigt wird, die die Pressefreiheit gar nicht hoch genug loben können, ist grobe Heuchelei.
Die wichtige Rolle, die RT etwa als Korrektiv der westlichen Medien-Kampagnen zum Maidan-Umsturz oder zum Krieg gegen die syrische Regierung spielt, haben die NachDenkSeiten in diversen Artikeln beschrieben, etwa in „Die große Medien-Koalition gegen RT Deutsch“ anlässlich der Diffamierungen von RT vonseiten des Deutschen Journalistenverbands (DJV):
„RT ist nicht nur ein Konkurrent im Kampf um Zuschauer und Aufmerksamkeit. Der Sender hat sich auch zu einer ernsten Bedrohung für die westlichen Propaganda-Konstrukte etwa zum Syrienkrieg oder zum Putsch in der Ukraine entwickelt. Das mögliche Auslaufen der britischen Lizenz wird mutmaßlich als Möglichkeit gesehen, einen unbequemen Beobachter des eigenen Tuns unter Druck zu setzen.“
In dem Artikel wird aber auch betont, dass man RT selbstverständlich die gleiche Skepsis entgegenbringen sollte wie anderen Medien:
„RT Deutsch ist nicht gefeit gegen Fehler oder Einflussnahme. Insofern muss dem Sender prinzipiell die gleiche Distanz entgegengebracht werden wie etwa dem „Spiegel“, der Deutschen Welle oder dem ZDF. Der prinzipielle und pauschale Vorwurf der „Propaganda“ ist aber nicht angebracht – und schon gar nicht aus der Feder von Redakteuren, die an monumentalen Kampagnen wie jenen zu Syrien oder der Ukraine mitgewirkt haben.
Wenn sich also der DJV und die großen deutschen Medienkonzerne durchsetzen mit ihrer aktuellen Kampagne gegen RT, dann wird eine zusätzliche Informationsquelle bekämpft. Das wäre (unter vielen anderen Bereichen) bei den Themen Russland, NATO-Kriege oder „Farbrevolutionen“ ein Verlust.“
„Querdenker“ und RT gelöscht: Deutsche Regierung duldet Zensur
Nach den kürzlichen Löschungen der Querdenker-Kanäle durch Facebook (wir haben hier berichtet) ist die Löschung der RT-Kanäle durch YouTube ein weiterer gravierender Fall von politischer Zensur – Thomas Röper beschreibt hier noch weitergehende Pläne von Google und auch die Verbindungen zu Institutionen wie der CIA.
Diese Art der politischen Zensur in Deutschland durch dubiose US-Akteure wird von der deutschen Politik bislang durch Untätigkeit mindestens hingenommen – dieser Zustand muss geändert werden.
Quelle: Podcast von Tobias Riegel für die Nachdenkseiten
Bild: Unsplash – Mika Baumeister