Die EU-Kommission steht wegen eines umstrittenen Milliardendeals mit Pfizer vor Gericht.
Die Vereinbarung, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen maßgeblich vorantrieb, ist nicht nur wegen ihres Umfangs, sondern auch aufgrund der mangelnden Transparenz ins Kreuzfeuer der Kritik geraten.
Es geht vor allem um die Frage, ob die zwischen von der Leyen und Pfizer-CEO Albert Bourla ausgetauschten SMS offengelegt werden müssen, wie es das EU-Transparenzgesetz verlangt.
Ein Milliardengeschäft im Alleingang
Im Mai 2021 schloss die EU-Kommission das größte Geschäft in der Geschichte der Pharmaindustrie ab: einen Vertrag mit Pfizer im Wert von 35 Milliarden Euro. Die Vereinbarung umfasste die Lieferung von 900 Millionen zusätzlichen Impfdosen, mit der Option auf weitere 900 Millionen. Im Vergleich zu früheren Verträgen wurde der Preis pro Dosis dabei um 25 % erhöht – von 15,50 Euro auf 19,50 Euro.
Berichten zufolge soll der Deal maßgeblich durch persönliche Absprachen zwischen Ursula von der Leyen und Albert Bourla zustande gekommen sein. Diese erfolgten angeblich über SMS-Nachrichten, was Fragen zur Transparenz und zu möglichen Kompetenzüberschreitungen aufwirft.
Verdeckte Verhandlungen und Schweigen der Beteiligten
Weder von der Leyen noch Bourla haben bislang die mit dem Deal verbundenen SMS offengelegt, obwohl zahlreiche Forderungen aus der Politik und von Transparenzorganisationen laut wurden. Bourla verweigerte zudem zweimal eine persönliche Anhörung im Europäischen Parlament. Stattdessen entsandte Pfizer im Oktober 2020 eine Vertreterin, Janine Small, die öffentlich zugab, dass der Impfstoff vor seiner Freigabe nie darauf getestet wurde, ob er die Übertragung von Covid-19 verhindern könne. Dies rückte den Deal in ein noch kritisches Licht.
Mangelnde Transparenz: Ein Akt politischer Behinderung?
Die Intransparenz beim Zustandekommen des Deals hat zu erheblichen Spannungen geführt. Insbesondere, da die genauen Vertragsinhalte ebenfalls geheim gehalten werden. Es wird vermutet, dass die Verträge Klauseln enthalten, die Pfizer von der Haftung für mögliche Impfschäden freistellen. Kritiker werfen der EU-Kommission vor, selbst dem Europäischen Rechnungshof und dem EU-Parlament keine vollständigen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Der Satiriker und EU-Abgeordnete Martin Sonneborn sprach von „einem Bollwerk der Undurchsichtigkeit“ und „verachtender Demokratie“.
Emily O’Reilly, die EU-Bürgerbeauftragte, bezeichnete die Blockadehaltung der Kommission als „vorsätzliche politische Behinderung“. Der Journalist Alexander Fanta und die New York Times haben die EU-Kommission verklagt, um eine rechtliche Klärung über die Offenlegungspflichten von SMS und anderen digitalen Nachrichten zu erzwingen.
Neue Details: Stornogebühren und versteckte Kosten
Zusätzlich zu den ursprünglichen 35 Milliarden Euro entstehen durch den Vertrag weitere immense Kosten. So besteht Pfizer auf die Abnahme der ursprünglich bestellten 900 Millionen Dosen. Für nicht benötigte Dosen drohen Stornogebühren von 10 Euro pro Einheit – ein Gesamtbetrag von 2,2 Milliarden Euro. Eine geplante Vertragsänderung soll außerdem eine Preiserhöhung und eine Verlängerung des Vertrags über 2023 hinaus vorsehen. Diese Entwicklungen werfen die Frage auf, ob die EU-Bürger angesichts dieser hohen Kosten angemessen repräsentiert werden.
EU-Parlament stimmt gegen Offenlegung
Am 12. Juli 2023 lehnte das EU-Parlament mit einer knappen Mehrheit die Forderung ab, die SMS zwischen von der Leyen und Bourla zu veröffentlichen. Die großen Parteibündnisse EVP (Christdemokraten), S&D (Sozialdemokraten) und Renew (Liberale) stimmten gegen den Antrag. Lediglich kleinere Parteien wie Grüne, Linke, AfD, Piraten und Sonneborns „Die Partei“ setzten sich für die Offenlegung ein.
Diese Entscheidung verstärkte den Eindruck, dass das Parlament die Intransparenz der Kommission deckt. Patrick Breyer, ein Abgeordneter der Piratenpartei, kritisierte: „Die Mehrheit im Parlament unterstützt die Undurchsichtigkeit an der Spitze der Kommission.“
Rücktrittsforderungen im Raum
Sollte sich herausstellen, dass Ursula von der Leyen in ihrer Funktion als Kommissionspräsidentin gegen dienstrechtliche Vorschriften verstoßen hat, könnte ihr Rücktritt unausweichlich werden. Das EU-Parlament könnte zudem einen Misstrauensantrag stellen oder der nächsten EU-Kommission die Bestätigung verweigern.
Fabio De Masi, EU-Abgeordneter der neuen Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht“, forderte in der Berliner Zeitung: „Wenn das Parlament einen Funken Selbstachtung hätte, würde es die Bestätigung der EU-Kommission verweigern, bis europäisches Recht respektiert wird.“
Parallelen zur Vergangenheit
Ein ähnlicher Fall ereignete sich bereits 2010: Damals musste die EU-Kommission unter Jacques Santer nach einem Skandal um Vetternwirtschaft und Korruption geschlossen zurücktreten. Kritiker sehen Parallelen und warnen vor einem langfristigen Schaden für die Glaubwürdigkeit der EU-Institutionen.
Fazit: Transparenz in der Krise
Der Streit um den Pfizer-Deal zeigt die tiefen Gräben in der EU-Politik. Während Ursula von der Leyen und die Mehrheit des Parlaments Transparenzforderungen ignorieren, wächst der Druck von Medien, Bürgerinitiativen und kleineren Parteien.
Der Fall könnte weitreichende Konsequenzen für die politische Kultur in der EU haben – und für das Vertrauen der Bürger in ihre Institutionen.
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