Das Wort zum Europa-Wahlsonntag…

Der aktuelle Wahlkampf zeigte in Deutschland deutlicher als vor den Wahlsonntagen zuvor die Folgen eines fortgeschrittenen politischen Klimawandels.

Die Angst geht um bei den etablierten Parteien – Sie hatten es sich doch schon so gemütlich in ihrem Einheitsbrei und der überbordenen Korruption gemacht.

Denn – heute ist Wahltag.

Das Europa-Parlament wird überall im Land gewählt, und in etlichen Bundesländern gibt es zusätzlich noch Kommunalwahlen.

Auf den ersten Blick sah der Wahlplakat-Dschungel in den Großstädten aus wie immer. Dennoch wird ein politischer Klimawandel von Wahl zu Wahl immer deutlicher, und der ließ sich auch an Wahlplakaten und Wahlwerbung beobachten.

Sicher, die Parteien sparten nicht an langweilig altgewohnten Floskeln, auch wenn dabei zuweilen originelle Aussagekonstellationen entstehen. Beispielsweise plakatieren SPD, AfD und BSW an einem Platz für „Frieden“. Aber auffällig war neben der Parteien-Wahlwerbung vor allem jene, die zum Wahlgang an sich aufforderte. Gab es das in dieser Menge schon früher? Selbst die Kirchen forderten zur Wahl auf. Kaum eine Institution oder Vereinigung fühlte sich offenbar nicht berufen, ihre jeweilige Zielgruppe zum Wählen aufzufordern, natürlich „demokratisch“. Überhaupt wollen diese Kampagnen den Eindruck vermitteln, als ginge es bei dieser Wahl quasi um die Rettung der Demokratie in Europa. „Geht wählen, wählt demokratisch!“, ruft mich auch ein Plakat von handinhandleipzig.de, einem Bündnis, das auch für Großdemonstrationen vor den Wahlen wirbt, an mehreren Orten in der Stadt auf.

Kann man in einer demokratischen Wahl eigentlich anders als demokratisch wählen?

Man kann sicher eine nicht-demokratische Partei oder einen nicht-demokratischen Kandidaten wählen, aber die sind auch trotz ihrer möglichen Demokratie-Verachtung demokratisch gewählt. So viel sprachliche Sorgfalt sollten selbsternannte Demokratie-Retter ihrem Rettungsobjekt angedeihen lassen. Aber das ist möglicherweise auch übertriebene Krümelkackerei.

Keinesfalls kleinkrämerisch ist es aber, darauf hinzuweisen, dass es ein Wahlrecht gibt, aber keine Wahlpflicht, auch keine moralische. Wenn die Wahlbeteiligung zu gering ist, dann sollten politische Verantwortungsträger den Fehler beim schlechten Angebot suchen. Dafür ist nicht der Wahlberechtigte verantwortlich. Für viele eigentlich engagierte Bürger sind beispielsweise die Hürden zu hoch, um ihr passives Wahlrecht wahrzunehmen, also sich zur Wahl zu stellen (Ich erspare mir an dieser Stelle mein Plädoyer für ein Mehrheitswahlrecht, obwohl es natürlich angebracht wäre.).

Brandmauer-Wahlkampf gegen die AFD


Wer unter den Kandidaten bzw. den kandidierenden Parteien niemanden findet, dem er guten Gewissens seine Stimme geben kann, muss dies auch nicht tun. Ich persönlich finde es besser, wenn es möglich ist, mit einer Stimmabgabe ein Signal zu senden, weil hierzulande eine Wahl selbst dann gültig ist, auch wenn nur eine Minderheit der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben würde.

Doch zurück zur „Rettung der Demokratie“ und dem „demokratischen Wählen“.

Hinter diesen vielen überparteilichen und überinstitutionellen Floskeln verbirgt sich im Klartext vor allem eines, die Aufforderung:

 

„Wählt, aber nicht die AfD“. Auch da, wo es nicht so klar gesagt wird, verstehen es die Wähler so, weil es auch so gemeint ist.

Es ist ein Brandmauer-Wahlkampf.

Dass es ein Parteien-Kartell gibt, das sich gegen die eine Oppositionspartei zusammenschließt, wurde lange als Verschwörungstheorie aus der rechten Ecke gebrandmarkt.

Aber wie nehmen es Wahlbürger wahr, wenn alle unisono vor allem vor der Wahl einer Partei warnen – mehr als dass sie positiv mit ihren eigenen Inhalten um Wähler werben?

Diese „Wählt alles, aber nicht rechts“-Kampagnen bestimmen das Vorwahlklima deutlich stärker als in den Wahlen zuvor.

Im Demonstrationsaufruf unter dem Motto

„Rechtsextremismus stoppen – Demokratie verteidigen“ von handinhandleipzig.de heißt es: „Als demokratische Mehrheit zeigen wir auch in Leipzig erneut die Kraft zehntausender Menschen, die aktiv für unsere Demokratie werden.

Wir zeigen, dass wir mehr sind. Also schließt euch uns an und bringt eure Familien und Bekannten mit! Wir lassen nicht zu, dass die Kommunal- und Europawahlen am 09. Juni 2024 von Hass und Hetze und rechtsextremen Ideologien dominiert werden.“

Eine demokratische Mehrheit zeigt sich besser in demokratischen Wahlen als in Großdemonstrationen.

Aber in der Kampagne können Letztere natürlich wirksam sein. Das Bündnis, das diesen Aufruf unterzeichnet hat, ist durchaus eindrucksvoll, wenn auch mit Schlagseite: 221 Organisationen, darunter die Ampel-Parteien, die Linke, die Kirchen, etliche Gewerkschaften, ein paar Firmen und viele Vereine. Ebenso unterzeichneten viele Einzelpersonen den Aufruf.

„Einigkeit gegen rechts“
Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung ist darunter, wiewohl er auf Benennung seines Amtes an dieser Stelle verzichtete, um deutlich zu machen, dass er als Privatperson unterschrieb.

Andere Unterzeichner mochten Privatperson und öffentliches Amt nicht so deutlich trennen, wie Gesine Märtens, die Staatssekretärin im „Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung“. Aber auch hier fanden sich Unterzeichner aus vielen Bereichen, sofern sich das erkennen lässt, weil wohl nicht einmal Ur-Leipziger alle Namen kennen dürften. Mancher fragt sich beim Lesen der Unterstützer-Liste an einer Stelle vielleicht schmunzelnd, ob der Unterzeichner Erich Mielke ein Witzbold ist oder ein Mann, der mit einer beschwerlichen Namensgleichheit leben muss. Aber dies nur am Rande.

Muss man sich nun aber darüber erregen, dass alle Parteien die AfD bekämpfen?

Das dürfen die doch schließlich in einer Demokratie. Das Problem ist nur: Bei dem politischen Klimawandel, der sich zu dieser Wahl besonders deutlich zeigt, geht es gar nicht so sehr um die AfD, sondern unabhängig von der Partei um die Zerstörung der legitimen Vielfalt einer politischen Landschaft, die eine Demokratie braucht.

Am deutlichsten macht das ein Großplakat der Grünen, das derzeit an etlichen Straßen steht: „Einigkeit gegen rechts für Freiheit.

Damit Europa demokratisch bleibt“ heißt es da. Da steht, wie so oft, „gegen rechts“, als gäbe es keine demokratischen Rechten. Und wie ist die Reaktion auf diese Leugnung der Existenz demokratischer Rechter? Gibt es einen Aufschrei? Vielleicht aus CDU und CSU? Zu vernehmen war er nicht.

Es ist das gute Recht von CDU und CSU, nicht mehr Sachwalter demokratischer Rechter sein zu wollen, wie es einst Franz-Josef Strauß war.

Nur wo gibt es dann Platz für demokratische Rechte, wenn man gleichzeitig die AfD für rechtsextrem erklärt und hinter die Brandmauer verbannt?

Von links nach rechts


Auch wenn demokratische Grüne, Linke, Sozialdemokraten und Liberale alles, was rechts ist, ablehnen, so müssten sie doch anerkennen, dass das politische Spektrum in jeder Demokratie nun einmal von links nach rechts reicht. Da ist es wichtig, am rechten und am linken Rand klare Grenzen zwischen Demokraten und Extremisten zu ziehen. Aber die Existenz demokratischer Rechter vollkommen auszublenden, bringt die Demokratie in eine gefährliche Schieflage. Eine solche Schieflage nützt den Ideologen, wie immer, wenn sich das Meinungsspektrum verengt und die Zahl konkurrierender politischer Angebote reduziert wird.

Kein Teil des Meinungsspektrums in einer Gesellschaft lässt sich ausradieren, allenfalls unterdrücken. Und das unterdrückende Ausgrenzen demokratischer Rechter durch den Generalverdacht des Rechtsextremismus gegen alles, was rechts ist, ist gleichzeitig Demokratieabbau.

Wie gesagt:

Wo soll beispielsweise ein demokratischer Konservativer oder Nationalliberaler, also salopp gesagt, ein Rechter, einen Platz in dieser politischen Landschaft finden, ohne Gefahr zu laufen, des Rechtsextremismus verdächtigt und hinter die Brandmauer verbannt zu werden?

Das betrifft ja nicht nur die AfD, auch jede Neugründung rechts der Mitte ist hierzulande inzwischen fast automatisch diesem Verdacht ausgesetzt. Dieser politische Klimawandel ist für Demokratie und Freiheit lebensgefährlich.

Aber links der Mitte mag man dieses Problem nicht sehen.

Zu verlockend ist eine politische Welt, in der ohne Beteiligung linker Parteien keine Regierung gebildet werden kann, auch wenn die Mehrheit der Wähler für Parteien rechts der Mitte stimmt. Dass diese Mehrheit darüber verstimmt ist, weil es sich schon so oft wiederholt hat, nehmen die politischen Profiteure der Brandmauer nicht wahr und möchten wohl auch nicht über die Folgen dieses ansteigenden Verstimmungsspiegels nachdenken.

Im Gegenteil, wie ein Flyer zu der Großdemonstration „Hand in Hand für Demokratie“, die Ende August, kurz vor der sächsischen Landtagswahl, in Leipzig geplant ist, deutlich zeigt. Da man – in der eigenen Vorstellung von demokratischer Vielfalt – drei Kundgebungen plant, die sich am Ende zu einem gemeinsamen Demonstrationszug um den Ring vereinigen sollen. Auf dem Augustusplatz soll sich die „Bürgerliche Mitte“ versammeln, auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz die „Progressive Linke“ und im Johannapark – nein natürlich nicht die demokratische Rechte – die „Erstwähler*innen“. Das ist also die politische Landschaft, für die die Demo-Organisatoren eintreten, eine „Demokratie“ ohne rechte Demokraten. (Es sei denn, man würde davon ausgehen, dass ein großer Teil der „Erstwähler*innen“ ins rechte Spektrum zu zählen ist, was ja jüngst eine Studie schrieb.)

Wer wirklich die Demokratie retten möchte, sollte keinesfalls pauschal „gegen rechts“ kämpfen, sondern müsste sich schon die Mühe machen, im rechten Teil des politischen Spektrums die Existenz von ehrenwerten Demokraten anzuerkennen und nur die Extremisten zu bekämpfen.

Und die rechten Demokraten suchen selbstverständlich bei einer Wahl nach Parteien, die ihre Anliegen vertreten. Die meisten machen ihnen aber kein Angebot, sondern wundern sich, warum sie dann wählen, wie sie wählen, allen Brandmauern zum Trotz.

Quelle: Peter Grimm Achgut.com

Bilder: Das Wort zum Wahlsonntag – Pixabay – negamuntaha

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