„Eine derart vollständige Übersicht politischer Aktivitäten und Äußerungen habe ich nicht einmal in den Stasi-Akten von prominenten DDR-Dissidenten gesehen“, sagt der Historiker Hubertus Knabe zu NIUS.
Nun kann die Überwachungs- und Zersetzungstätigkeit der Stasi in einem diktatorischen Regime niemanden überraschen. Aber auf welcher rechtlichen Grundlage können Einzelpersonen im Rechtsstaat Deutschland überwacht werden? Die kurze Antwort: Grundsätzlich gar nicht, wenn es nach den Verfassungsschutzgesetzen von Bund und Ländern geht. Allerdings bedeutet „grundsätzlich“ im juristischen Sprachgebrauch nicht das, wonach es klingt, sondern wird eher im Sinne von „meistens“ verwendet, es gibt Ausnahmen.
Rechtliche Grundlagen und Grenzen
Durften ursprünglich ausschließlich verfassungsfeindliche „Bestrebungen“, d.h. „Personenzusammenschlüsse“ wie Parteien, Vereine etc. observiert werden, so verschärfte die letzte Große Koalition nach den Anschlägen von Halle und Hanau die entsprechenden Regelungen und wollte auch die Radikalisierung von Einzeltätern stärker in den Blick nehmen. Doch auch danach bleiben die Hürden dafür sehr hoch. Demnach muss von einer Einzelperson mindestens die gleiche Gefährdung für die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung ausgehen wie von einer Gruppe.
„Einzelpersonen können also nur Beobachtungsobjekt sein, wenn bei ihnen von einer aufgrund der intendierten Handlungsmodalitäten (,Gewalt') oder der Wirkungsweise gesteigerten Bedrohung für die verfassungsmäßige Ordnung (,erheblich zu beschädigen') auszugehen ist“, schreibt der Augsburger Verwaltungsrechtler Josef Franz Lindner in einem detaillierten Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „Es muss also nicht nur eine verfassungsfeindliche Haltung erkennbar sein, sondern diese muss darüber hinaus mit einer auf die tatsächliche Realisierung der verfassungsfeindlichen Ziele weisenden Intentionalität verbunden sein.“
Maaßens Äußerungen unter der Lupe des Verfassungsschutzes
Ob diese Intention zur aktiven Schädigung oder gar Beseitigung der Verfassungsordnung bei Hans-Georg Maaßen in Betracht kommt, ist aus dem angefertigten Dossier in keiner Weise erkennbar. Lindner schreibt dazu: „Pointierte Stellungnahmen, zugespitzte oder in der Öffentlichkeit als radikal oder sogar extrem empfundene Äußerungen einer Einzelperson in Publikationen, Interviews oder sozialen Netzwerken erreichen diese gesetzliche Hürde regelmäßig nicht. Das Verhalten der Einzelperson muss vielmehr nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut darauf ,gerichtet sein’, das Ziel der Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung ,zu verwirklichen’“, so der Professor in seinem Aufsatz, der sich ausdrücklich mit dem Fall Maaßen befasst. „Insbesondere Hassbotschaften und Agitation einer Einzelperson“ genügen „allein noch nicht für eine Beobachtung“.
Lindner unterscheidet vier Phasen auf dem Weg zu einer Datensammlung über Einzelpersonen: eine handlungsneutrale Phase, eine Vorprüfphase, eine Prüfphase sowie eine Verdachtsphase. In den ersten beiden Phasen darf überhaupt keine Sammlung angelegt werden. Erst wenn in diese beiden Phasen belastbare Anhaltspunkte für das „Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen“ gefunden wurden, wird der Betreffende zum „Prüffall“. Dann kann das BfV mit dem systematischen Datensammeln beginnen. Dass dabei auch Dinge zusammengetragen werden, die nicht verboten oder anderweitig anstößig sind, ist nach geltender Auslegung rechtens, weil der Verfassungsschutz ein möglichst umfassendes Bild der Person erstellen muss, aus dem auch Entlastendes zu entnehmen ist oder ob es sich um einzelne Entgleisungen oder systematische Verfassungsfeindlichkeit handelt.
Überwachungsmethoden in der Kritik
Problematisch sehen Verfassungsrechtler wie etwa der Freiburger Professor Dietrich Murswiek, dass der Verfassungsschutz in jüngster Zeit nicht mehr klare „Anhaltspunkte“ für extremistische und verfassungsfeindliche Aktivitäten zum Anlass für Überwachung nimmt, sondern von sogenannten „Verdachtssplittern“ spricht, die juristisch kaum zu umreißen sind. Auch die Methodik der Datensammlung sei mitunter fragwürdig, sagen Juristen. So wird etwa darauf verwiesen, dass der Überwachte Begriffe benutze, die auch von Extremisten benutzt würden. Daraus zu schlussfolgern, dass jeder Verwender ein Extremist sei, sei unzulässig. Im Maaßen-Dossier wird etwa der Begriff „Globalist“ antisemitischen Stereotypen zugeordnet.
Alles in allem kann man sagen, dass die rechtlichen Hürden für die Überwachung von Einzelpersonen sehr hoch sind. Wer auf welcher Grundlage beim BfV die Weisung zur Datensammlung über Maaßen gegeben hat, bleibt einstweilen im Dunkeln.
Text: RALF SCHULER/Nius.de
Bild: Radio Qfm.
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