„Rechtsoffen“ – Die Nebelkerze der Kriegsunterstützer…

Deutschland ist faktisch längst Kriegspartei im Ukrainekrieg.

Deshalb tobt auch an der „Heimatfront“ in Deutschland ein gnadenloser Kampf um Meinungsführerschaften und Deutungshoheiten.

Vor dem Hintergrund des immer weiter eskalierenden Krieges – gerade wieder milliardenschwere Waffenlieferungen, rund fünfhundert tote ukrainische und russische Soldaten jeden Tag, Einsatz von Uranmunition und Streubomben, Sprengung der Krim-Brücke und die drohende Gefahr eines baldigen Eintritts in einen 3. Weltkrieg (Jeffrey Sachs) – wird auch an der „Heimatfront“ in Deutschland in und im Umfeld der Friedensbewegung eine erbitterte Auseinandersetzung geführt.

Erstaunlicherweise geht es dabei nicht um den besten und schnellsten Weg aus dem Krieg hin zum Frieden, sondern um die Frage, mit wem man demonstrieren und von welchen Friedenskräften man sich fernhalten sollte, um nicht „mit den Falschen“ zu demonstrieren.

Der Begriff der „Rechtsoffenheit“

 

Die „Falschen“, das sind unter dem Gebot des „antifaschistischen Grundkonsenses“ der Friedensbewegung Akteure und Gruppen, die als „rechtsoffen“, „rechts“, „extrem rechts“, „AfD-nah“, „Nazis“, oder gar „faschistisch“ identifiziert werden.

 

Insbesondere der inflationär gebrauchte Begriff der „Rechtsoffenheit“ steht dabei im Zentrum der Ab- und Ausgrenzungsdebatte. Jedoch schon seine Unbestimmtheit lässt den Begriff und seine Verwendung fragwürdig erscheinen. „Rechts“ ist nicht gleichbedeutend mit AfD-nah, Nazi oder faschistisch; „rechts“ ist auch die CDU im Parteienspektrum angesiedelt. Es kommt im Übrigen auch darauf an, wo man sich selbst im politischen Spektrum verortet. Wenn man sich extrem links positioniert, steht praktisch der ganze Rest der Gesellschaft „rechts“ davon.

„Rechts“ wird in dieser Debatte niemals wirklich an den Inhalten von Politik festgemacht.

Müssten nicht diejenigen Parteien wie Grüne und SPD, die Waffenlieferungen in Kriegsgebiete fordern und für Wirtschaftssanktionen eintreten, die Russland ruinieren wollen, per se als „rechts“ eingeordnet werden? Und was bedeutet denn „Offenheit“? Erfordert dies ein Tolerieren, ein billigendes Akzeptieren, einen Kontakt oder eine Gesprächsbereitschaft?

Der Begriff der „Rechtsoffenheit“ ist für eine seriöse politische Auseinandersetzung offensichtlich unbrauchbar.

Seine Verwendung suggeriert jedoch eine Nähe zu außerhalb des demokratischen Spektrums liegenden Positionen und hat deshalb diskriminierenden Charakter. Um die Ausgrenzung noch zu vertiefen, werden bei seiner Verwendung häufig auch bewusst weitere Begriffe wie „rechts“, „extrem rechts“, „rechtsesoterisch“ oder „Nazi“ ohne irgendeinen Anhaltspunkt oder Beweis in einem Atemzug genannt.

Bei den sachlichen Grundlagen für die Einordnung als „rechtsoffen“ werden geltende Beweisregeln stets missachtet.

Musterbeispiel dafür ist der Artikel in der Terz Düsseldorf (Nr. 6.23) „Das „Friedensbündnis NRW“ „Querfront“-Bestrebungen in Düsseldorf?“. Zentrales Argument für eine Verbindung nach „rechts“ sind stets Kontaktschuldvorwürfe („er ist dort gesehen worden“ … „hatte dazu Kontakt“), negativ verstärkt durch Attribute wie „extrem rechts“, „rechtsesoterisch“. Beweise für eine rechte politische Betätigung werden niemals vorgelegt.

Der Autor des Artikels, ein Tom Burkhardt, agiert als Anonymus. 

Die Terz-Redaktion weigerte sich auf Aufforderung, seine wahre Identität preiszugeben, behauptet gar, diese nicht zu kennen, obwohl dies ein Verstoß gegen geltendes Presserecht wäre. Dem Duktus nach erscheint der Artikel wie eine Aneinanderreihung von Verfassungsschutzdossiers. Dies liegt auch deswegen nahe, weil die unterstellten Kontakte überhaupt erst durch eine professionelle Dauerbeobachtung von Einzelpersonen zustande gekommen sein könnten.

In der publizistischen Praxis nimmt der evidenzlose Artikel der Terz allerdings eine zentrale Stellung ein. Die meisten Stellungnahmen, die mit der „Rechtsoffenheit“ argumentieren, verwenden immer wieder Teile dieses Artikels, sozusagen als „Fundgrube“. Dies und seine vermeintliche Herkunft aus trüben Quellen sprechen für sich. Bei der Zuschreibung einer „Rechtsoffenheit“ werden neben nebulösen Kontaktschuldvorwürfen auch echte Falschbehauptungen und Lügen verwendet. Dies hat die Initiative „Frieden Links“ in ihrer Stellungnahme zu Verleumdungen durch die Bundesvorsitzenden des antifaschistischen Vereins VVN-BdA vom Juli 2023 belegt.

Das Fehlen von alternativen Friedensprotesten

Ginge es im Zusammenhang mit den vorgeblichen „rechtsoffenen Protesten“ allein um die Frage, dass nicht „mit den Falschen“ protestiert werden soll, so müssten die Kräfte, die die Aus- und Abgrenzungsdiskussion befeuern – also die Funktionäre der VVN und der DFG-VK in NRW, die Redakteure der Terz Düsseldorf und des Netzwerks Friedenskooperative und andere) – selbst aktiv werden und Friedensproteste ohne diese inkriminierten „rechtsoffenen“ Kräfte durchführen. Insofern ist jedoch nur Fehlanzeige zu vermelden. Die VVN hat bislang keinerlei Antikriegsprotest gefordert, angeboten oder durchgeführt. Die DFG-VK erledigt, zumindest in NRW, ihr jährliches Pflichtprogramm – Ostermarsch im April, im Sommer Mini-Protest vor Rheinmetall anlässlich der Aktionärsversammlung, im Oktober dann der Anti-NATO-Protest im abgelegenen niederrheinischen Ort Kalkar – ohne die eskalierende Kriegspolitik der Bundesregierung mit hör- und sichtbarem Protest auf zentralen öffentlichen Plätzen zu begleiten.

Es gibt schlicht keinen nennenswerten Protest etablierter zivilgesellschaftlicher Organisationen gegen die Kriegspolitik der Bundesregierung.

In Düsseldorf tritt gar bei jeder Friedensdemo eine Störtruppe unter der Flagge der „Antifa“ auf, um den Friedensprotest des Friedensbündnisses NRW zu behindern und zu stören. Mit Flaggen der Ukraine und der EU sprechen sich die Störer offiziell für die Waffenlieferungen der Bundesregierung und die Kriegspolitik der EU aus. Die Demonstranten des Friedensbündnisses NRW werden von den unter der Flagge der „Antifa“ agierenden Störern als Nazis beschimpft. Eine offenbar der Antifa nahestehende Online-Zeitung diffamierte sogar namentlich Mitglieder der VVN, die sich in Düsseldorf an Friedensdemos beteiligen.

Der „Rechtsoffen-Vorwurf“ führt also nicht zu einem alternativen, „nicht rechtsoffenen“ Protest gegen die Kriegspolitik der Bundesregierung, sondern zur Warnung vor Friedensprotesten (DFG-VK), zum Nicht-Protest, zur friedenspolitischen Passivität, zur Diffamierung und Delegitimierung laufender Proteste und gar zu deren massiver Behinderung und Störung.

Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der Antikriegsproteste

Die mit dem Vorwurf der „Rechtsoffenheit“ agierenden Kräfte der Friedensbewegung geben vor, die „Rechtsoffenheit“ sei die zentrale Hürde für einen gemeinsamen Protest aller Kräfte der Friedensbewegung. Dass es auch, oder insbesondere, zur Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit von Antikriegsprotesten inhaltliche Differenzen gibt, wird von ihnen nicht offen thematisiert. Doch bei genauem Hinsehen liegt genau hier die entscheidende Trennlinie.

Antikriegsproteste, die sich gegen die eskalierende Politik der Bundesregierung richten, müssten sich nach den bisherigen Maßstäben der Friedensbewegung gegen die Lieferung von Waffen, insbesondere schweren Waffen, die Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland, den einstweiligen Ausschluss von Verhandlungen mit Russland, die Ablehnung eines Waffenstillstands richten. Die VVN (bzw. deren Bundesvorsitzende Cornelia Kerth und Florian Gutsche) macht jedoch in ihrer Veröffentlichung vom 12.7.2023 „Falsche Frontstellung“ das Gegenteil deutlich. Die VVN-Funktionäre sehen in den Protesten gegen Waffenlieferungen und Sanktionen „das Konzept einer Friedensbewegung, die den russischen Angriffskrieg und die notwendigen Konsequenzen daraus aus der Perspektive und ihren Debatten ausblendet“. Mit den „notwendigen Konsequenzen“ sind selbstredend jene Konsequenzen gemeint, die die deutsche Bundesregierung mit ihrem Kriegskurs seit März 2022 gezogen hat, nämlich die immer weitere Lieferung von schweren Waffen, die Verhängung von Wirtschaftssanktionen (de facto ein Wirtschaftskrieg gegen Russland), der Ausschluss von Verhandlungen und die Ablehnung eines Waffenstillstands. Damit stellt sich die VVN faktisch an die Seite der Bundesregierung, die mit ihrer weiteren Kriegseskalation alles dafür tut, dass dieser Krieg fortgeführt wird.

Auch in den bekannten Veröffentlichungen der DFG-VK kommt eine Kritik an der konkreten eskalierenden Kriegsscharfmacherei der Bundesregierung nicht vor. Immer wieder wird der „Gessler-Hut“ in der Kriegsschuldfrage („völkerrechtswidriger Krieg Russlands gegen die Ukraine“) einseitig zulasten Russlands zu gezogen. Auf Drängen der DFG-VK NRW grüßte auch der Ostermarschaufruf Rheinland 2023 den geschichtsvergessenen Gesslerhut der russischen Alleinschuld. Die Entwicklung zum Krieg, insbesondere seit dem Putsch im Jahr 2014 und dem Beschuss des Donbass mit vierzehntausend toten Zivilisten, blendet der Aufruf aus, ebenso, dass Deutschland durch die Waffenlieferungen längst Kriegspartei geworden ist. Konsequent wird auch nicht berücksichtigt, dass nicht nur derjenige das Elend eines Krieges zu verantworten hat, der den ersten Schuss abgibt, sondern auch derjenige, der alles dafür tut, dass der Krieg nicht beendet wird. Gerade dies trifft auf die Politik der Bundesregierung zu.

Die sogenannte Antifa steht vollständig hinter der Kriegspolitik der Bundesregierung, indem sie Waffenlieferungen und Wirtschaftssanktionen begrüßt, den Rückzug Russlands von der Krim und aus dem Donbass fordert, und bis zur Erfüllung dieser einseitigen Forderungen alle Friedensverhandlungen ablehnt. Seine olivgrünen Ansichten ehrlich und direkt zu formulieren, traut sich der Geschäftsführer des bundesweiten Netzwerks Friedenskooperative, Kristian Golla, in der taz: „Wer als Pazifist gegen Waffenlieferungen ist, macht sich schuldig durch Unterlassen, weil dann auch Menschen ums Leben kommen.“ (taz, 7. April 2023)

Das Dilemma der „Kriegskuschler“ wie VVN und DFG-VK

In der Friedensbewegung der Nachkriegszeit in Deutschland gab und gibt es friedenspolitische Positionen, die bislang als unumstößlich galten. Dazu gehörten die Selbstverständlichkeiten, dass man Waffenlieferungen (in Kriegsgebiete) ebenso ablehnte wie Wirtschaftssanktionen bzw. Wirtschaftskriege. Ebenso galt das Primat des Verhandelns gegenüber der kriegerischen Auseinandersetzung, dem Schießen, als gesetzt. Und schließlich wurden Waffenstillstände immer gefordert, um damit in Verhandlungen einzutreten. Diese „friedenspolitischen Grundsätze“ wurden von niemandem infrage gestellt, wollte er oder sie sich nicht selbst aus der Friedensbewegung ausschließen.

Erstmals in der Vorbereitung zu einer bundesweiten zentralen Friedenskundgebung zum 1. Oktober 2022 äußerte jedoch ein Vertreter der IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung eines Atomkriegs) im Rahmen einer ZOOM-Konferenz, dass seine Organisation gar nicht eindeutig gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und Wirtschaftssanktionen gegen Russland sei. Der hier eingeleitete „Tabubruch“ setzte sich mit dann in Positionen von VVN und DFG-VK zum Erstaunen und zum Entsetzen großer Teile der Friedensbewegung fort. Die IPPNW verbot dann auch ihrem langjährigen Mitglied Dr. med. Ingrid Pfanzelt, auf der Münchner Demonstration gegen die NATO-Sicherheitskonferenz im Namen der IPPNW zu sprechen. Dr. Pfanzelt sprach als friedensbewegte Privatperson vor über zwanzigtausend Menschen auf dem Königsplatz über die aktuelle Gefahr eines Atomkriegs auf europäischem Boden. Die IPPNW blieb bei dem Massenprotest gegen die bundesdeutsche Kriegspolitik auf eigenen Wunsch außen vor.

Die traditionellen Organisationen der Friedensbewegung wie VVN, DFG-VK, Netzwerk Friedenskooperative oder IPPNW müssten nun eigentlich den staunenden Aktiven der traditionellen deutschen Friedensbewegung erklären, warum sie gerade in der schlimmsten den Weltfrieden bedrohenden Situation von den selbstverständlichen Grundforderungen der Friedensbewegung – die nie in Zweifel standen – abrücken und sich hinter dem Kriegseskalationskurs der Bundesregierung versammeln. Dies tun sie jedoch bis heute nicht!

Die Keule der „Rechtsoffenheit“

Statt defensiver Erklärungen liefern die Kriegskuschler eine offensive Kampagne unter dem Kampfbegriff der „Rechtsoffenheit“ gegen jene Organisationen, Initiativen und Einzelne, welche die friedenspolitischen Grundforderungen weiter hochhalten. Die aktiven Friedensaktivisten werden von den passiven Kriegskuschlern als nicht kompatibel ausgegrenzt, weil sie eben „rechtsoffen“, „rechts“ oder gar „rechtsesoterisch“ seien. Ob in Berlin, München, Hamburg oder Düsseldorf: Überall entstanden Friedensgruppen oder -bündnisse, die sich die einfachen und selbstverständlichen Forderungen der Friedensbewegung auf ihre Fahnen schrieben: Keine Waffenlieferungen, kein Wirtschaftskrieg (gegen Russland), Verhandeln statt Schießen und Waffenstillstand sofort.

Deutlich wird, dass es in dieser Auseinandersetzung in Wirklichkeit nicht um „rechts“ oder „links“ geht, sondern darum, das eigene Aufgeben der friedenspolitischen Grundpositionen der Friedensbewegung zu kaschieren. Mit einer aggressiven Kampagne, die natürlich von der herrschenden Politik und deren Medien (insbesondere der olivgrünen taz) nachdrücklich unterstützt wird, zündet man die Nebelkerze der „Rechtsoffenheit in der Friedensbewegung“, um davon abzulenken, dass man selbst – als vermeintliches Mitglied der Friedensbewegung – vor der herrschenden Kriegspolitik kapituliert bzw. sich dieser unterworfen hat. Die Funktionäre nutzen ein gängiges Mittel der Propaganda: Um von der eigenen Kriegszustimmung abzulenken, stellt man diejenigen, die sich der Kriegsunterstützung verweigern, weil sie die guten Grundsätze, Prinzipien und Politiken beibehalten, als die „Vaterlandsverräter“, „ferngesteuerte Gesellen“ oder eben „Rechte“ dar. Geschichtliche Parallelen zur Abstimmung über die Kriegskredite 1914 oder zur Wiederbewaffnung 1956 sind insofern nicht fernliegend. Auch damals schuf man sich das entsprechende „absolute Feindbild“.

Politisch geht es darum, an der „Heimatfront“ jeden Widerstand gegen den Kriegskurs der Bundesregierung und ihrer Helfer – auch in der Friedensbewegung – zu diskreditieren und unwirksam zu machen. War die Friedensbewegung davon zunächst überrascht, wenn nicht gar überrumpelt, in vielen Fällen gar vor Empörung gelähmt angesichts langjähriger eigener Mitgliedschaft in den Organisationen der angreifenden Funktionäre, so gelingt die Diffamierungskampagne zunehmend immer weniger. Die wirklichen Kräfte des Friedens – in der Tradition der alten Friedensbewegung – begreifen diese Situation und lassen sich immer weniger von den Verleumdungen und Diffamierungen beeindrucken. Sie werden zunehmend aktiv und wehren sich, z.B. „alte Fahrensleute der Friedensbewegung“ in der Initiative Frieden links.

Jürgen Schütte ist Sprecher des Friedensbündnisses Mönchengladbach und Mit-Koordinator des Friedensbündnisses NRW.

Quelle & Podcast : Nachdenkseiten.de

Bilder : Rechtsoffen Pixabay – Geralt

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