Zur Krönung von Charles III. von England hat Julian Assange diesen Brief verfasst, der am 5. Mai auf Declassified UK veröffentlicht wurde.
An Seine Majestät König Charles III.
anlässlich der Krönung meines Lehnsherrn hielt ich es für angebracht, Eure Hoheit herzlich einzuladen, dieses bedeutsame Ereignis mit einem Besuch Eures Königreichs im Königreich zu zelebrieren:
His Majesty’s Prison Belmarsh.
Eure Durchlaucht erinnert sich zweifellos an die weisen Worte eines berühmten Dramatikers:
„Die Art der Gnade weiß von keinem Zwang. / Sie träufelt wie des Himmels milder Regen / zur Erde unter ihr.“
(„The quality of mercy is not strained. It droppeth as the gentle rain from heaven upon the place beneath”, Kaufmann von Venedig Akt 4, Szene 1).
Ach, aber was wüsste der Barde über Barmherzigkeit angesichts der Abrechnung am Morgen Eurer historischen Herrschaft?
Schließlich kann man das wahre Maß einer Gesellschaft daran erkennen, wie sie ihre Gefangenen behandelt, und Euer Königreich hat sich in dieser Hinsicht ja besonders hervorgetan.
Das Gefängnis Seiner Majestät, Belmarsh, befindet sich an der prestigeträchtigen Adresse One Western Way, London, nur eine kurze Fuchsjagd entfernt vom Old Royal Navy College in Greenwich.
Wie reizend es sein muss, dass eine solch angesehene Institution Euren Namen trägt.
Hier ist der Ort, an dem 687 Eurer treuen Untertanen inhaftiert sind und somit zum Rekord des Vereinigten Königreiches als Nation mit der größten Gefängnispopulation in Westeuropa beitragen.
Wie Eure hehre Regierung vor Kurzem bekanntgegeben hat, erlebt Euer Königreich momentan „den größten Ausbau von Gefängnisplätzen seit über einem Jahrhundert“ („the biggest expansion of prison places in over a century“), wobei ihre ambitionierten Hochrechnungen einen Anstieg der Gefängnispopulation von 82.000 auf 106.000 innerhalb der nächsten 4 Jahre voraussagen. Wahrlich ein großartiges Vermächtnis.
Als politischer Gefangener, der zum Vergnügen Seiner Majestät im Auftrag eines beschämten ausländischen Souveräns gefangen gehalten wird, ist es mir eine Ehre, in den Mauern dieser erstklassigen Institution zu residieren.
Während Eures Besuchs werdet Ihr die Gelegenheit haben, Euch an den kulinarischen Freuden zu laben, die für Eure treuen Untertanen mit einem großherzigen Budget von zwei Pfund pro Tag zubereitet werden. Genießt die passierten Thunfischköpfe und das ewige Formfleisch, das vorgeblich aus Hühnchen hergestellt ist.
Und sorgt Euch nicht, denn anders als in geringeren Einrichtungen wie Alcatraz oder San Quentin gibt es kein gemeinsames Essen in einem Speisesaal.
In Belmarsh speisen die Gefangenen allein in ihren Zellen, wodurch die größtmögliche Intimität mit ihrer Mahlzeit garantiert ist.
Jenseits der kulinarischen Genüsse kann ich Euch versichern, dass Belmarsh Euren Untertanen reichlich Bildungsmöglichkeiten (an)bietet. Wie es in Sprüche (Salomons) 22,6 lautet:
„Gewöhne einen Knaben an seinen Weg, so lässt er auch nicht davon, wenn er alt wird.“
Betrachtet die schlurfenden Warteschlangen an der Medikamentenausgabe, an welcher Insassen ihre Arzneimittel sammeln, nicht für den täglichen Gebrauch, sondern für das horizonterweiternde Erlebnis eines „big day out“ – alles auf einmal.
Eure Majestät werden außerdem die Gelegenheit haben, meinem verstorbenen Freund Manoel Santos Euren Respekt zu erweisen, einem schwulen Mann, dem die Abschiebung nach Bolsonaros Brasilien bevorstand und der sich, nur 7 Meter von meiner Zelle entfernt, mit einem kruden, aus seinen Bettlaken gefertigten Seil das Leben nahm.
Seine exquisite Tenorstimme ist nun für immer zum Schweigen gebracht.
Wagt Ihr Euch in die Tiefen von Belmarsh vor, wird Euer Durchlaucht den einsamsten Ort innerhalb seiner Mauern finden:
„Healthcare“ oder „Hellcare“ („Gesundheitspflege“ oder „Höllenpflege“), wie seine Bewohner ihn liebevoll nennen.
Hier werdet Ihr vernünftige Regeln bestaunen, die für die Sicherheit aller sorgen, wie z.B. das Verbot von Schach, während das weit weniger gefährliche Spiel Dame erlaubt ist.
Tief innerhalb von Hellcare liegt der herrlichste erbauliche Raum in ganz Belmarsh, ja im ganzen Vereinigten Königreich:
Die erhaben benannte Belmarsh End of Life Suite.
Hört Ihr genau hin, wird Eure Majestät vielleicht mitbekommen, wie die Gefangenen schreien:
„Bruder, ich werde hier drinnen sterben“ („Brother, I’m going to die in here“), ein Zeugnis für die Qualität sowohl von Leben als auch Sterben in Eurem Gefängnis.
Aber sorgt Euch nicht, denn in diesen Mauern gibt es auch Schönes zu entdecken.
Weidet Eure Augen an den pittoresken Krähen, die im Stacheldraht nisten, und den Hunderten von hungrigen Ratten, die Belmarsh ihr Zuhause nennen.
Und wenn Eure Hoheit im Frühling kommt, könntet Ihr vielleicht sogar einen Blick auf die Küken erhaschen, die von verirrten Enten innerhalb der Gefängnismauern ausgebrütet werden.
Aber schiebt Euren Besuch nicht zu lange auf – denn die gefräßigen Ratten sorgen dafür, dass das Leben der Küken kurz ist.
Ich bitte Euch inständig, König Charles, das Gefängnis Seiner Majestät, Belmarsh, zu besuchen, denn es ist eine Ehre, die einem König gebührt.
Während Ihr Eure Herrschaft antretet, möget Ihr Euch immer an die Worte der King-James-Bibel erinnern:
„Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“ („Blessed are the merciful, for they shall obtain mercy“, Matthew 5:7).
Und möge Barmherzigkeit das Leitbild Eures Königreiches sein, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Mauern von Belmarsh.
Euer ergebenster Untertan,
Julian Assange
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