Londoner Supreme Court sieht „keine strittige Rechtsfrage“ und will sich nicht mit dem Fall Assange befassen

Ein Podcast der Nachdenkseiten.de

Montag Nachmittag kam für mich überraschenderweise die Nachricht, dass der Supreme Court von England und Wales es abgelehnt hat, sich mit der von Julian Assanges Anwaltsteam eingelegten Berufung zu befassen. Am Wochenende hatte es noch die positive Nachricht gegeben, dass Assange und seine Verlobte am 23. März im Gefängnis heiraten werden.

Versuch einer Einordnung von Moritz Müller.

Als ich gestern titelte „Julian Assange – Im Hochsicherheitsgefängnis in den sicheren Hafen der Ehe“, hatte ich den Satz zuerst noch mit einem Fragezeichen versehen, welches ich dann aus Gründen des (Zweck-)Optimismus weggelassen habe. In dem Artikel schrieb ich auch, dass es vom Supreme Court, in dessen Bereich der Fall lag, noch keine Anzeichen gegeben hat, wann er sich mit dem Fall befassen werde. Das ist seit der Ablehnung gestern Nachmittag anders und Optimismus ist mal wieder ins Hintertreffen geraten.

Hier etwas zur Vorgeschichte der gestrigen Entscheidung. Im Februar und September 2020 fanden insgesamt 5 Wochen Anhörung im Auslieferungsfall Assange statt. Ich habe darüber ausführlich auf den NachDenkSeiten berichtet. Die anhörende Instanz war das Westminster Magistrates Court mit Bezirksrichterin Vanessa Baraitser. Die Durchführung fand erst in den Räumlichkeiten des Woolwich Crown Court und dann am Zentralen Strafgerichtshof „Old Bailey“ in der Londoner City statt.

Julian Assange und auch wir Prozessbeobachter wurden durch die Behörden konsequent schikaniert. Am zweiten Prozesstag beschwerten sich Assanges Anwälte, dass Assange seit dem Vortag zweimal einer Leibesvisitation unterzogen wurde, dass er in 5 verschiedenen Zellen festgehalten wurde und dass ihm 11 Mal Handschellen angezogen wurden.

Das damalige Gerichtsgebäude Woolwich Crown Court ist wohlgemerkt mit dem Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, wo Assange seit fast drei Jahren festgehalten wird, durch einen unterirdischen Tunnel verbunden. Assange saß während der Verhandlung hinter Panzerglas. Wozu es dann zweimaliger Leibesvisitationen bedarf, kann sich jeder selbst ausmalen. Richterin Baraitser erklärte sich für die Haftbedingungen nicht zuständig. Als daraufhin Assanges Verteidiger Edward Fitzgerald anmerkte, dass das Gericht sehr wohl dafür verantwortlich sei, dass der Angeklagte bei guter Gesundheit und wach vor Gericht erscheint, hatte sie dagegen keinen triftigen Einwand zur Hand.

Die Behandlung der Öffentlichkeit, von Journalisten und unabhängigen Beobachtern ließ die Vertreter von „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) kommentieren, dass sie sich bei Prozessen in der Türkei oder in Russland willkommener gefühlt hätten als bei der britischen Justiz. RSF ist eine mir etwas suspekte Organisation, die Pressefreiheit manchmal selektiv zu behandeln scheint, aber im Fall Assange scheint sich die Organisation mittlerweile eindeutig positioniert zu haben. Auch ich habe diese Behinderung der Prozessbeobachtung des Öfteren erlebt und beschrieben.

In den 5 Verhandlungswochen ging es darum, ob Assange an die USA ausgeliefert werden darf, wo ihm für 18 Anklagepunkte bis zu 175 Jahre Haft drohen, für Spionage und Einbruch in einen Computer. Es wurden Fragen erörtert, ob die Veröffentlichungen von Wikileaks, die nach Meinung des UN-Sonderberichterstatters für Folter, Nils Melzer, auch Kriegsverbrechen ans Tageslicht beförderten, im öffentlichen Interesse sind. Das US-Spionagegesetz von 1917 lässt dieser Frage keinen Raum. Es ging darum, ob durch die Wikileaks-Veröffentlichungen Informanten gefährdet wurden.

Eine weitere Frage war, ob Assange in den USA einen fairen Prozess zu erwarten habe. Die Grand Jury, die Assange anklagt, befindet sich geografisch im District Eastern Virginia, wo der überwiegende Teil der Bevölkerung für US-Bundesbehörden arbeitet. Außerdem hörten wir widerwillig von Assanges prekärem Gesundheitszustand und den unvorstellbar grausamen möglichen Haftbedingungen in US-Gefängnissen.

Die nächste Frage war, ob der Auslieferungsvertrag zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich politische Fälle explizit ausschließt. Merkwürdigerweise hat es diese Klausel aber nicht bis in das britische Gesetz, welches Auslieferungen regelt, geschafft.

Am Ende der vier Wochen im September 2020 fühlte ich mich, der ich nur Beobachter war, wie gerädert. Wie Julian Assange sich da gefühlt haben muss, braucht man sich gar nicht auszumalen, aber er musste dennoch weitere 3 Monate bis zum 4. Januar letzten Jahres warten, bis Richterin Baraitser ihren Schiedsspruch verkündete. Baraitser folgte damals in allen Punkten der Anklage, bis sie ganz am Ende ihrer 45-minütigen Erklärung die Auslieferung mit der Begründung ablehnte, die Haftbedingungen in den USA seien möglicherweise zu repressiv für Julian Assange, dessen gesundheitliche Probleme sie akzeptierte.

Nichtsdestotrotz lehnte sie 2 Tage später auch seinen Antrag auf Freilassung auf Kaution ab und schickte ihn wieder zurück in ähnliche Haftbedingungen ins Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, das sicher teilweise mitverantwortlich für seinen prekären Zustand ist. Die Vertreter der USA kündigten an, gegen das Urteil Berufung einlegen zu wollen.

Die Anklage wollte das zentrale medizinische Gutachten von Dr. Michael Kopelman überprüfen lassen und außerdem sollten im Nachhinein gegebene Zusicherungen der USA bezüglich Assanges möglicher Haftbedingungen in den USA in Betracht gezogen werden, obwohl die Beweisaufnahme zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen war.

In der Verhandlung vor dem High Court Ende Oktober letzten Jahres ging es dann weniger um die Anzweiflung des Kopelman-Gutachtens als um die Zulassung der nachträglichen Beweise in Form von Zusicherungen, deren Gültigkeit zu diesem Zeitpunkt aber nicht mehr richtig überprüft werden konnte.

Anfang Dezember kippte der High Court das Urteil des Bezirksgerichts und erklärte Assanges Auslieferung für möglich. Das Gericht akzeptierte das medizinische Gutachten, aber gleichzeitig auch die Zusicherungen der US-Amerikaner als „feierliche Zusicherungen eines souveränen Staates an einen anderen“. Wenn man z.B. den Fall von David Mendoza Herrarte betrachtet, fragt man sich, wie die Richter darauf kommen können. Die beiden High-Court-Richter gingen sogar so weit, Baraitser dafür zu rügen, dass sie diese Zusagen nicht aus den USA herausgekitzelt habe. Gegen dieses Urteil legte wiederum Julian Assange in mehreren Punkten Berufung ein.

Ende Januar war ich dann in den Londoner Royal Courts of Justice zugegen, als Richter Burnett in einer weniger als zweiminütigen Erklärung die Gültigkeit eines der Punkte zertifizierte, aber dem Supreme Court selbst die Entscheidung überließ, ob er sich mit diesem Punkt befassen wolle. Es ging in dem Punkt um die Frage, ob es von öffentlichem Interesse sei, zu welchem Zeitpunkt Zusicherungen bezüglich Auslieferungsverfahren eingereicht werden können oder müssen, um berücksichtigt zu werden. Gestern verkündete der Supreme Court, dass es die Berufung nicht zulassen werde, weil es „keine strittige Rechtsfrage“ („no arguable point of law“) gebe.

Ich fand das sehr erstaunlich, denn als ich im Januar in London war, führte ich ein ausführliches Gespräch mit dem befreundeten Rechtsgelehrten D. Nach seinen Worten sei es Usus, dass der High Court die Zulassung einer Berufung dem höheren Supreme Court selbst überlasse. Wenn allerdings der High Court eine juristische Frage zertifiziere, sei es auch normal, dass der Supreme Court sich dann damit befasse.

Zu Beginn der Unterhaltung bezeichnete D. das Vorgehen der Justiz im Fall Assange als absolute Schande („absolute disgrace“) und er war sichtlich erregt über das Verhalten seiner Kollegen. Der US-Seite sei illegales Vorgehen erlaubt worden, so als wenn beim Schach der gleiche Läufer schwarze und weiße Felder benutzen dürfe oder wenn man Bauern rückwärts ziehen ließe.

D. meinte, dass es in der Bezirksrichterschaft große Unruhe geben müsse, da die nachträgliche Zulassung von Beweisen das Führen von Auslieferungsprozessen sinnlos mache. Die Bezirksrichter müssten sich wohl fragen, warum man auf deren Ebene überhaupt noch Auslieferungsprozesse führe, wenn die resultierenden Urteile dann vom High Court nach Belieben mit nachträglich eingereichten Beweisen gekippt werden könnten. Bei dieser Vorgehensweise im Fall Assange habe die Verteidigung die nachträglich eingereichten Zusicherungen der USA keiner juristischen Prüfung unterziehen können, und dies sei auch so beabsichtigt gewesen.

D. zufolge sei die Anzweiflung des medizinischen Gutachtens ein Ablenkungsmanöver gewesen, damit Assanges Verteidigung hierauf knappe Ressourcen ver(sch)wende. Er erklärte, dass die Verteidigung in einem solchen Fall unheimlich arbeitsintensiv sei und dass die Verteidigung wohl permanent mit terminierten Anfragen der mit fast unbegrenzten Kapazitäten ausgestatteten Gegenseite konfrontiert sei. Bei Assanges Verteidigern handele es sich um eine relativ kleine Kanzlei, die sich bisher wacker geschlagen habe. Wir beide konnten uns aber auch nicht erklären, warum nach der Ablehnung des Kautionsantrags keine juristische Prüfung (judicial review) beantragt worden sei.

D. schien aber fest davon überzeugt, dass sich der Supreme Court nun mit dem Fall befassen werde. Deshalb bin ich nun so überrascht, und auch für mich als Laien stellt es sich als eine zentrale rechtliche Frage dar, wann Zusicherungen gemacht werden müssen, damit man deren Gültigkeit auch prüfen kann.

Auch D. zeigt sich fassungslos über die gestrige Ablehnung durch den Supreme Court, weil dies absolut unüblich sei, nachdem der High Court eine Frage für diskussionswürdig erklärt hat. Der ganze Prozess sei wohl hochgradig politisiert und es gebe eine Art Redeverbot. Darum kämen auch aus den Reihen der Richterschaft keine Stimmen des Protests. Ich denke nicht, dass D. mit seiner „absolut disgrace“-Ansicht alleine steht, sondern dass sich sonst nur niemand traut, diese zu äußern.

Der Beobachter Craig Murray ist der Ansicht, dass dem Supreme Court diese Frage zu heikel sei, weil es von der Tory-Regierung sowieso Bestrebungen gebe, die Befugnisse des Supreme Court zu beschneiden.

Nun geht der Fall an die britische Innenministerin Priti Patel, die nicht gerade als Freigeist bekannt ist. Die Assange-Verteidigung veröffentlichte gestern das folgende Statement:

Assange hat nun vier Wochen Zeit, Eingaben an Priti Patel zu machen, von denen man sich aber wohl nicht zu viel erwarten sollte.

Die jetzige Innenministerin war von der damaligen Regierungschefin Theresa May aus dem Kabinett geworfen worden, weil sie auf einer privaten Israel-Reise ihre eigene Außenpolitik betrieben hatte, als sie sich fast täglich mit israelischen Regierungsvertretern traf. Ein anderes Mal drohte sie den Iren im Zuge der Brexit-Verhandlungen mit Nahrungsmittelknappheit. Das war doppelt unsensibel, da sich im 19. Jahrhundert, als Irland Teil des britischen Imperiums war, dort eine Hungersnot mit Millionen Toten ereignet hatte. Und auch Indien, von wo Patels Vorfahren stammen, war während der britischen Kolonialzeit des Öfteren von Hungersnöten geplagt.

Auch von der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock, die noch im September gefordert hatte, dass Assange sofort freigelassen werden müsse, ist wohl in ihrer neuen Funktion kein Einwirken auf ihre britische Kollegin zu erwarten, und Vizekanzler Habeck, der sich vor einem Jahr bei Tilo Jung gewunden für die Freilassung Assanges ausgesprochen hatte, hüllt sich seitdem in Schweigen und plädiert lieber für Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet.

Man kann also davon ausgehen, dass Patel Assanges Auslieferung genehmigen wird. Sie verweist den Fall dann an das Westminster Magistrates Court zurück, zur Abwicklung der Auslieferung. Zu diesem Zeitpunkt kann dann eine erneute Berufung, diesmal von Seiten Assanges, an den High Court stattfinden, bezüglich der Punkte im Auslieferungsbegehren, die Baraitser ursprünglich akzeptiert hatte. Diese sind hauptsächlich:

  • Der Missbrauch des Auslieferungsvertrags, der ausdrücklich die politische Auslieferung verbietet.
  • Die Verletzung des in Artikel 10 UNCHR verankerten Rechts auf freie Meinungsäußerung.
  • Die missbräuchliche Anwendung des US-Spionagegesetzes.
  • Die Verwendung von anrüchigen, bezahlten Beweisen eines verurteilten Betrügers, der inzwischen öffentlich zugegeben hat, dass seine Aussagen falsch waren.
  • Das Fehlen einer Grundlage für den Hacking-Vorwurf.

Die Verteidigung hatte Craig Murray zufolge schon im letzten Jahr beantragt, diese Punkte in einem sogenannten Cross Appeal gleichzeitig mit dem Berufungsantrag zu verhandeln, was aber abgelehnt wurde. Die Folge ist, dass es nun ein weiteres Jahr im Hochsicherheitsgefängnis dauern wird, bis der Fall erneut verhandelt wird. Auch der Supreme Court hätte wohl schon im kommenden Sommer getagt.

Wie ich schon vor Längerem geschrieben habe, scheint hier der Weg das negative Ziel zu sein. Je länger es dauert, desto mehr wird Assange, das Opfer dieser Rechtsbeugung, durch seine Isolation zermürbt.

Der öffentliche Druck auf die Politik muss weiter aufrechterhalten und ausgebaut werden. Sonst traut sich am Ende niemand mehr, seine Meinung zu äußern.

Solange niemand mit einem Hubschrauber Assange in Belmarsh abholt, kann man Informationen zum Protest und zu Mahnwachen hier finden.

Quelle: Nachdenkseiten.de

Bild: Radio Qfm Edition Photomontage

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